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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Verstummt sind natürlich die Kämpfe der Studentenschaft gegen die besondere akademische Gerichtsbarkeit, da diese als eine privilegierte und exzeptionelle nirgends mehr besteht. Dagegen wird die Universität als Korporation nicht darauf verzichten können und mögen, unwürdige Elemente von sich auszuschliessen oder sie vor diesem letzten Schritt und Schnitt durch Warnung und Rüge auf den rechten Weg zurückzuführen; dass die Karzerstrafe verschwindet – von Anfang an in Strassburg, jetzt auch in Bayern, ist nur zu begrüssen. Ob freilich die Zusammensetzung unserer Disziplinarämter mit oder ohne Universitätsrichter eine durchaus geeignete ist, lässt sich fragen. Wenn sie die Form von Standes- und Ehrengerichten annehmen, so stände nichts im Wege, dass auch Vertreter der Studentenschaft selbst über die Kommilitonen mit zu Gericht sässen und Fragen wie die, ob einer noch als honoriger Student zu betrachten oder eine Verbindung nach ihren Grundsätzen und ihrer Führung mit dem Geist einer deutschen Universität verträglich sei, mit zu entscheiden hätten. Durch solche Mitbeteiligung würde vollends der Schein der Gehässigkeit von der akademischen Disziplin genommen und diese, wenn auch nicht erleichtert, so doch sicherlich zum Gewinn für das studentische Leben und insbesondere auch für das Verhältnis von Studenten und Professoren ausgestaltet werden können.

Dass neben dem Studenten heute auch mit gleichen Rechten die Studentin steht, ist eine Neuerung, die nur zu begrüssen ist. Das Frauenstudium hat lange Zeit gerade in Universitätskreisen besonders viele und zähe Gegner gehabt; inzwischen ist der Widerstand verstummt und die Gründe dagegen sind als zopfig und fadenscheinig erkannt. Dass den Frauen die Pforten der Universität geöffnet wurden, war eine Forderung der Gerechtigkeit und wirtschaftlich notwendig geworden. Nun es geschehen ist, haben sie zu zeigen, was sie neben oder im Unterschied von den Männern in der Wissenschaft zu leisten vermögen. Der vorläufige Eindruck, dass sie sich wesentlich rezeptiv dazu verhalten, schmälert ihr gutes Recht auf diese Betätigung in keiner Weise. Grösser ist die Sorge, dass sich auch manche ungeeigneten Elemente, weil es nun einmal Mode geworden ist, oder aus Sehnsucht nach der Ungebundenheit des Studentenlebens einzudrängen suchen. Und wie sich das freie Zusammenleben so vieler jungen Menschen verschiedenen Geschlechts auf die Dauer gestaltet, muss auch erst abgewartet werden. Die freie Studentenschaft hat dafür kaum schon die richtige Form gefunden.

Ein Haupthindernis des Frauenstudiums und seiner Anerkennung seitens der Universitäten lag anfänglich in der mangelhaften und zweifelhaften Art der Vorbildung studierender Frauen. Durch die Einrichtung besonderer Mädchengymnasien und weiblicher „Studienanstalten“ oder anderswo durch die Aufnahme von Mädchen in die höheren Knabenschulen (Koëdukation) ist diese Frage im Sinne der Gleichartigkeit oder Gleichwertigkeit mit der Vorbildung ihrer männlichen Kommilitonen geregelt. Wie für diese so ist auch für sie die einzige enge Pforte, die zur regelrechten Aufnahme in die Universität, zur Immatrikulation führt, die Bestehung des Abiturientenexamens. Denn der sogenannte „vierte Weg“ für die Abiturientinnen der Lehrerinnenseminare (Oberlyzeen) ist ein auf die Dauer nicht haltbarer Irrweg, vor dem die Frauen selber warnen.

Übrigens ist die Frage der Vorbildung für die Universitäten neuerdings überhaupt zu einem Problem geworden durch die Gleichstellung der drei neunklassigen Schulanstalten und die Zulassung und den Zudrang der Realschulabiturienten zum Universitätsstudium. Unsere Hochschulen und ihr Unterrichtsbetrieb sind auf humanistischer Grundlage aufgebaut und auf Studierende mit humanistischer Bildung zugeschnitten. Daher wird es jedenfalls solchen, die kein Latein verstehen, immer schwer fallen, daran teilzunehmen und den vollen Gewinn davon zu haben. Das hat sich in den kurzen Jahren seit Zulassung der Realschulabiturienten erfahrungsmässig unzweifelhaft herausgestellt. Es liegt aber auch in der Natur der Sache selbst. Real- und Oberrealschulen sind nicht als Vorbereitungsanstalten für das Universitätsstudium gedacht und eingerichtet, sie bilden, abgesehen von ihrem Dienst für praktische Berufe aller Art, die Vorstufe für die technischen Hochschulen. Deshalb sollten sie auch nicht den Ehrgeiz haben, möglichst viele Universitätsstudenten zu züchten; das sollte nach wie vor als Ausnahme, als eine Art Berufswechsel angesehen werden, der auf diese Weise nur möglichst erleichtert werden soll. So wie die Dinge heute liegen, ist diese Ungleichheit der Vorbildung wirklich eine Erschwerung und

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/157&oldid=- (Version vom 21.11.2021)