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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Im Laufe dieser 25 Jahre hat sich die Zahl der Gerichts-Eingesessenen verdoppelt, die der Rechtsanwälte verachtfacht. Im Beginne der Periode kam auf 13 627 Gerichts-Eingesessene ein Rechtsanwalt, am Schlusse auf 2979. Von da ab setzt eine neue noch gewaltigere Steigerung ein. Es waren nämlich an dem 1905 verkleinerten Landgerichte I zugelassen

1906      722 Rechtsanwälte,
1907 893,
1908 952,
1909 976,
1910 1015,
1911 1063,
1913 1182.

von welchen allerdings eine (stetig sinkende, 1913 noch 659 betragende) Zahl bei allen drei Berliner Landgerichten zugleich zugelassen war. Alles in allem wirkten in den Bezirken der drei Berliner Landgerichte (die über Berlin hinausgreifen), einschliesslich der am Kammergerichte zugelassenen, im Jahre 1911 1511, im Jahre 1913 aber schon 1983 Anwälte, einer auf 2010 Einwohner. Zieht man immerhin in Rechnung, dass die Zahl der Anwälte 1879 unzulänglich gewesen, dass eine Anzahl der neu Hinzugekommenen nicht auf die Einnahmen aus der Rechtsanwaltschaft angewiesen sein mag, dass Geschäftsverkehr und Wohlhabenheit sehr stark zugenommen haben, so übertrifft dennoch diese kolossale, die Bevölkerungs-Zunahme weit hinter sich lassende und immer noch anhaltende Steigerung die schlimmsten Erwartungen. Dass Wien Ende 1910 1207, das kleinere Budapest Ende 1909 sogar 1645 Advokaten besass, beweist nur, dass dort eine noch grössere Überfüllung herrscht.

Nicht ganz so stark, aber immer noch übermässig war der Andrang in den andern Grossstädten:

Landgerichts-
Bezirk
Zahl der Rechtsanwälte einschl.
der nur bei den Amtsgerichten,
ausschl. der nur bei den Ober-
landesgerichten zugelassenen
Zahl der Gerichts-Ein-
gesessenen.
Es kamen auf einen Rechts-
anwalt Gerichts-Ein-
gesessene
1880 1889 1911 1880 1889 1911 1880 1889 1911
München I 90 83 403 237895 308650 584841 2642 3718 1440
Hamburg 131 132 282 388618 518620 1015795 2961 3828 3602
Hannover 51 62 132 340111 396250 600577 6668 6391 4549
Cöln 73 77 205 405249 478727 774657 5551 6217 3778
Breslau 41 68 155 417433 485970 660693 10181 7146 4252
Dresden 138 136 358 537841 641618 1046640 3897 4718 2923
Leipzig 157 148 364 473992 593038 924547 3019 4007 2540
Frankfurt 56 74 163 169301 224593 394979 3023 3035 2423
Stuttgart 41 43 117 341653 363681 530009 8333 8457 4529
Danzig 21 44 74 413401 443266 551704 19685 10074 7455
Nürnberg 28 32 126 228568 269707 431545 8163 8428 3424
Essen 23 45 122 350696 465573 984206 15204 10346 8066

Es ergibt sich, dass bis zum Jahre 1889 die Steigerung in den Grossstädten nicht übermässig gewesen, oft sogar von der Steigerung der Bevölkerungsziffer überholt worden ist, besonders da, wo schon vor 1879 die Rechtsanwaltschaft rechtlich oder tatsächlich freigegeben war, wie in Hamburg, Hannover, Cöln, Dresden, Leipzig, Frankfurt, Stuttgart. Von 1889 zu 1911 hingegen zeigt sich überall eine sehr bedeutende, in München, Breslau, Stuttgart, Nürnberg ungeheuerlich zu nennende Steigerung der Anwaltszahl, die in der Erniedrigung der Durchschnittsziffer zum Ausdruck kommt.

Die wirtschaftliche Lage der Rechtsanwaltschaft lässt sich zahlenmässig nicht dartun. Sicher ist sie durch die Freigabe ungünstiger geworden, aber wohl immer noch wesentlich besser als die der Ärzte. In der Provinz haben die meisten Anwälte ihr oft recht reichliches Auskommen; in den Grossstädten finden sich neben überbeschäftigten, fürstliche Einnahmen abwerfenden zahlreiche verödete Kanzleien. Das ist bei freien Berufen nicht anders möglich und wird immer so

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/117&oldid=- (Version vom 17.11.2021)