Diverse: Handbuch der Politik – Band 3 | |
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von 1780. Die Advokatur wurde abgeschafft. Zur Beratung und Vernehmung der Parteien wurden festbesoldete Assistenzräte ernannt, aber nur für grössere Sachen, daher in geringer Zahl. Zur Entschädigung der entlassenen Advokaten wurde das Amt der Justizkommissare geschaffen, denen die freiwillige Gerichtsbarkeit, vorzugsweise das Notariat, daneben eine ganz beschränkte Prozesstätigkeit, eingeräumt war. Aber gerade diese letzte wurde schon 1782 erweitert und 1783 ihnen ganz zurückgegeben, die Assistenzrat-Einrichtung aufgehoben. Das Ergebnis der auf Abschaffung der Advokatur gerichteten Bewegung war sonach, dass unter den Namen Justizkommissare die Advokaten mit bedeutend (durch das Notariat) erweitertem Wirkungskreise wieder einzogen. Die am 6. Juli 1793 verkündete Allgemeine Gerichtsordnung bestätigte diesen Zustand, und gab dem Stande die Verfassung, die er im wesentlichen bis 1879 beibehalten hat. Darnach werden die Justizkommissare von der Justizverwaltung ernannt, und zwar für ein bestimmtes Gericht. Ihre Vorbildung ist die richterliche. Sie sind Beamte. Aufsicht und Disziplin übt das Obergericht, seit der Verordnung vom 30. April 1847 ein von den Justizkommissaren aus ihrer Mitte gewählter Ehrenrat. Das Notariat ist regelmässig mit dem Amte verbunden. Die Ernennungen erfolgten so sparsam, dass das Amt in der Regel ein sicheres und gutes Einkommen gewährte und von Richtern vielfach erstrebt wurde;[1] andererseits wurde dafür gesorgt, dass auch die kleineren Gerichte mit Anwälten versorgt waren. Die grosse Umwälzung von 1848 liess diese Verfassung unberührt; nur dass die Kgl. Verordnung vom 2. Januar 1849 den Namen „Rechtsanwalt“ einführte, der seit Anfang des Jahrhunderts gebräuchlich geworden war und nichts anderes als den Gerichts-Prokurator (Rechts = Gerichts; Anwalt = Bevollmächtigter oder Prokurator) bedeutet.
Alles dies galt nur für Altpreussen. In der Rheinprovinz war, als sie an Preussen kam, die französische Verfassung in Geltung, welche die Zweiteilung des Berufs in der Form beibehalten hatte, dass die Partei vertreten wird durch einen procureur, später avoué genannt, der die Sache vorbereitet und dann zur Fertigung der Schriftsätze und mündlichen Verhandlung an den avocat abgibt, der seinerseits aber nicht Parteivertreter ist und daher in der mündlichen Verhandlung den avoué neben sich haben muss. Zum mündlichen Vortrag ist in der Regel nur der Advokat berechtigt. Die Prokuratur ist ein Amt, allerdings ein käufliches, die Advokatur ist freigegeben. Die Advokatur unterwirft sich keiner Gebührenordnung und klagt Gebühren nicht ein. Anwaltszwang besteht in der Gestalt, dass die Partei zur Bestellung eines avoué verpflichtet ist. Anwaltskammern bestehen für beide Berufe. Das Notariat ist von ihnen getrennt.
Diese Verfassung war der deutschen entgegengesetzt, nach welcher umgekehrt der Prokurator, nicht aber der Advokat, zum Auftreten vor Gericht berechtigt war. Sie wurde denn auch sofort nach dem Sturze der französischen Herrschaft aufgehoben und das Amt der avoués mit dem der Advokaten unter dem Namen Advokat-Anwaltschaft zu einem Amte vereinigt, neben dem aber eine freigegebene Advokatur bestand, der grundsätzlich das Recht, vor Gericht aufzutreten, entzogen war. Diese Verfassung bestand in allen linksrheinischen Gebieten und wurde 1850 auch in Hannover und Braunschweig eingeführt.
Die minderberechtigte Advokatur dieser Gebiete war etwas ganz anderes als die Advokatur in den übrigen deutschen Staaten; in diesen hätte also eine Freigabe der Advokatur eine ganz
- ↑ Ein Bild geben folgende Zahlen:
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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/114&oldid=- (Version vom 17.11.2021)