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Stahlwerksverband nach dem Vorbild des Kohlensyndikates, während sich für Bleche, Walzdraht usw. eine Syndizierung nicht verwirklichen liess. Ausserdem gibt es noch verschiedene Kartelle in anderen Gebieten des Kohlenbergbaues, sowie für Braunkohle und zahlreiche Verbände für Spezialprodukte der Eisenindustrie. Die 1905 veranstaltete Enquete des Reichsamts des Innern zählte 19 Kartelle der Kohlenindustrie, 62 der Eisenindustrie auf.

Die Wirkungen dieser Kartelle bestanden zweifellos in einer Erhöhung der Preise für die Konsumenten, einer Erhöhung der Gewinne für die kartellierten Unternehmer. Letztere lässt sich an der teilweise ganz enormen Steigerung der Kurse von Aktien und Kuxen von Kohlenbergwerksgesellschaften und Eisenwerken erkennen. Dass durch die Preiserhöhungen der Kartelle die Konsumenten aber übermässig benachteiligt worden seien, wird man allgemein nicht behaupten können. Insbesondere das Kohlensyndikat ist im ganzen massvoll in seiner Preispolitik gewesen. Wenn auch die Kohlenpreise heute doppelt so hoch sind als in der ersten Hälfte der 80er Jahre und um die Hälfte höher als bei Gründung des Syndikats, so sind doch die Preise jener ungünstigen Jahre nicht unbedingt mit den heutigen vergleichbar. Denn in günstigen Zeiten, z. B. Anfang der 70er Jahre und 1889–90 waren die Preise trotz freier Konkurrenz gerade so hoch wie jetzt. Der Unterschied ist also nur, dass das Syndikat auch in der Depression die Preise hoch hält. Sie sind also entschieden sehr viel gleichmässiger geworden und das ist auch für die Abnehmer ein grosser Vorteil. In der Hochkonjunktur der Jahre 1899–1900 und 1906 hätte das Kohlensyndikat zweifellos viel höhere Preise erzielen können. Es gab damals eine vollständige „Kohlennot“ und man warf dem Syndikat vor, dass es künstlich mit dem Angebot zurückhalte. Kaum 1½ Jahr später aber waren die Zechen genötigt, grosse Mengen Kohle auf Lager zu nehmen oder billig ins Ausland zu verkaufen, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Ob damals eine starke Herabsetzung der Preise eine erhebliche Vergrösserung des inländischen Absatzes zur Folge gehabt hätte, ist schwer zu sagen. Es wurde in der Kartellenquete auch von manchen Verbrauchern verneint.

Wegen ihrer billigen Verkäufe ins Ausland sind die Kartelle sehr heftig angegriffen worden. Aber wie schon gesagt, diente dieser Export in der Regel nur dazu, ihnen in ungünstigen Zeiten Beschäftigung zu verschaffen. Er ist daher keine regelmässige Erscheinung und deshalb kann sich auf einen solchen Export von Rohstoffen und Halbfabrikaten eine ausländische Weiterverbreitung nicht aufbauen. Das Kohlensyndikat, die Roheisensyndikate und der Stahlwerksverband haben auch die inländischen Weiterverarbeiter durch Ausfuhrvergütungen in ihrem Export zu fördern gesucht. Aber diese Massregel befriedigt doch die letzteren nicht auf die Dauer, zumal sie nur an solche gewährt wurde, die ihrerseits in Verbänden organisiert waren.

Neben der Kartellbewegung hat in der Montanindustrie auch die Fusionstendenz grosse Bedeutung erlangt. Seit Ende der 90er Jahre suchten die grösseren Kohlenbergwerksgesellschaften sich kleinere anzugliedern, um ihre Beteiligungsziffer im Syndikat zu erhöhen. Teilweise wurden diese kleineren Zechen dann stillgelegt, was namentlich 1903 zu grosser Erregung und vielen Erörterungen führte, weil dadurch viele Arbeiter beschäftigungslos, namentlich aber manche Gemeinden ihrer Haupteinnahmequelle beraubt wurden. Doch, wären diese kleineren Zechen bei freier Konkurrenz wahrscheinlich schon früher stillgelegt worden, allerdings wäre das Ereignis nicht so plötzlich eingetreten. Auch in der Eisenindustrie sind zahlreiche Verschmelzungen von Eisenwerken erfolgt. Doch sind die enormen Vergrösserungen mehrerer Werke in der Hauptsache auf Neuanlagen zurückzuführen.

Von sehr viel grösserer Bedeutung ist eine andere Art der Zusammenfassung von Unternehmungen in der Montanindustrie, die sog. Kombinationstendenz, die Verbindung von Kohlenzechen mit Hochöfen und Stahlwerken und dieser mit allen möglichen Zweigen der Weiterverarbeitung. Zwar haben schon seit den 50er Jahren grosse Eisen- und Stahlwerke eigene Kohlenzechen in Besitz gehabt, aber von einer allgemeinen Tendenz, eine solche Kombination vorzunehmen, kann man erst seit der Entwicklung festorganisierter Rohstoffkartelle sprechen. Früher, als die Rohstoffproduzenten, also die Kohlenzechen und

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 406. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/422&oldid=- (Version vom 1.11.2021)