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den Vorstand ersetzen und neben der Aktionärgesamtheit an der Beschlussfassung über die wichtigsten Angelegenheiten mitwirken. Sie findet im Leben eine verhältnismässig bescheidene Anwendung.

Darum hat die deutsche Gesetzgebung der neuesten Zeit dem Drängen der Kaufmannswelt nach Schaffung neuer Typen von Kapitalassoziationen nachgegeben. Zunächst geschah dies für koloniale Unternehmungen durch das Reichsgesetz vom 15. März 1888 § 8, das jetzige Schutzgebietsgesetz vom 10. September 1900 §§ 11–13, insofern der Bundesrat durch besonderen Regierungsakt Kolonialgesellschaften mit eigenem, vom gemeinen Recht abweichenden Recht ausstatten kann. Das Gesetz bezieht sich zwar nicht nur auf Aktiengesellschaften, tatsächlich haben aber im Laufe der Zeit sich alle oktroiierten Kolonialgesellschaften des Aktientypus bedient und insofern kann man sagen, dass wir es mit einer eignen Art von Aktiengesellschaften zu tun haben, die der englischen Chartered Company entspricht. Seit Erlass des Gesetzes sind mehrere Dutzend solcher Gesellschaften oktroiiert worden, deren Recht erheblich milder, als das strenge Aktienrecht ist. Die Grösse der investierten Kapitalien ist noch immer verhältnismässig bescheiden.

Wichtiger ist die Schaffung der Gesellschaft mit beschränkter Haftung durch das Reichsgesetz vom 20. April 1892. Hier hat der deutsche Gesetzgeber eine Form geschaffen, die ausserordentlichen Beifall in der Praxis gefunden hat und von ausländischen Gesetzgebungen bereits nachgeahmt wird. Dem Gesetzgeber schwebte vor, die durch die Starrheit und Rigorosität des Aktienrechts erzeugten Hindernisse für den Unternehmergeist zu beseitigen. Er rief einen Typus ins Leben, der zwar im Grossen aktienrechtlich ist, aber in Einzelheiten von der regulären Form der Aktiengesellschaft abweicht. Zunächst liess er eine Reihe strenger aktienrechtlicher Vorschriften fallen. Sodann sorgte er dafür, dass zu vorübergehenden Zwecken erforderliche Betriebsmittel durch Nachschüsse aufgebracht werden können. Während bei der Aktiengesellschaft jeder Aktionär nur bis zum Nennbetrag der Aktie in Anspruch genommen werden kann, kann hier das Statut Nachschüsse auferlegen, sei es bis zu einem bestimmten Höchstbetrage, sei es ohne Begrenzung. Das unbegrenzte Risiko, dass im letzteren Falle das Mitglied trifft, kann von ihm durch Aufgabe des Anteils für die Zukunft beseitigt werden, eine von der Reederei und Gewerkschaft entlehnte Bestimmung. Die eingezahlten Nachschüsse bilden im Gegensatz zum festen Stammkapital einen ausserordentlichen beweglichen oder veränderlichen Fonds, der wieder rückzahlbar ist, ohne dass eine Herabsetzung des Stammkapitals vorgenommen zu werden braucht. Des Ferneren kann das Statut neben den Einlagen zum Gesellschaftskapital den Mitgliedern Nebenleistungen auferlegen und damit die Vereinigung allen möglichen Zwecken, z. B. Kartellierungszwecken, dienstbar machen, während bei der Aktiengesellschaft sich die Leistungspflicht – von einer Ausnahme abgesehen – in der Einzahlung des Aktienbetrages erschöpft.

Durch diese elastischeren Normen ist die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die im übrigen, wie hervorgehoben ist, auch eine Art Aktiengesellschaft ist, befähigt worden, das Bedürfnis zumal kleinerer Unternehmer zu befriedigen. Sie hat weniger den grossen Kapitalassoziationen mit einem nach Millionen zählenden Grundkapital, als der offenen Handelsgesellschaft und Kommanditgesellschaft Konkurrenz gemacht. Personen, die nicht ihr ganzes Vermögen, sondern nur eine bestimmte Summe riskieren wollen behufs Verwertung einer Idee technischer oder kommerzieller Art tuen sich zu einer G. m. b. H. zusammen. Die Zahl der Gesellschafter ist gewöhnlich klein (2, 3), oder es ist in Wahrheit nur ein Einzelner der Unternehmer, der nur pro forma einen Zweiten heranzieht, dessen Anteil er nachträglich erwirbt (was das Gesetz zulässt), so dass wir die merkwürdige Erscheinung tagtäglich gewahren, dass ein Einzelunternehmer sein Risiko dadurch beschränkt, dass er die juristische Person der G. m. b. H. ins Leben ruft, die in Wahrheit er selbst darstellt. Zwar wäre dies auch bei der Aktiengesellschaft möglich, aber die strengen Bestimmungen des Aktienrechts lassen solchen Fall als Ausnahme erscheinen, während er bei der G. m. b. H. so häufig ist, dass in neuester Zeit geradezu vorgeschlagen worden ist, die

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/335&oldid=- (Version vom 9.10.2021)