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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

das Handelsgesellschaftsrecht der gesetzgeberische Niederschlag einer rastlosen Unternehmertätigkeit, in die ausser der Kaufmannswelt die weitesten Kreise der Bevölkerung, zumal der städtischen, in stets steigendem Masse hineingezogen werden. Die Ausdehnung des überseeischen Handels und die koloniale Politik haben – wenn auch nicht in dem Grade, wie in England – den Volksgeist mit Unternehmerwagemut erfüllt. Einen Teil des Vermögens in Handelsunternehmungen anzulegen, ist in den letzten Jahrzehnten selbst bei kleineren Kapitalisten zur Uebung geworden, auch wo verwandtschaftliche Beziehungen oder testamentarische Anordnungen nicht dazu den Anlass geben. Die Gesetzgebung kommt dieser Richtung durch Schaffung neuer Formen zu Hilfe. Und so steht uns eine so reiche Auswahl von Typen zur Verfügung, wie kaum in einem anderen Teile des Verkehrsrechts. –

Einzelne dieser Typen reichen weit zurück. So die Schiffspartnerschaft (Reederei) des Seerechts, die mit den Holzschiffen auszusterben scheint und nur noch in abseits liegenden Häfen der Ostsee für kleine Leute (Küstenfahrer, Handwerker u. dgl.) eine gewisse Bedeutung besitzt. So ferner die stille Gesellschaft, die dem Darlehn mit Tantièmebeteiligung wirtschaftlich nahe steht und unleugbar eine grosse Rolle noch heute spielt, statistisch sich aber wegen ihres diskreten, rein auf interne Beziehungen beschränkten Charakters nicht verfolgen lässt. Sie wird, wie in früheren Zeiten, noch jetzt vornehmlich von Verwandten oder Freunden eines Kaufmanns benutzt, die nach aussen als Handelsgewerbetreibende nicht hervortreten wollen, sei es um der Haftung den Geschäftsgläubigern gegenüber zu entgehen, sei es, weil ihr Beruf offenen Betrieb des Handels ihnen nicht gut erlaubt, die andererseits aber eine höhere Verzinsung ihres Kapitals erstreben und im Vertrauen auf die Ehrlichkeit und Tüchtigkeit des Firmeninhabers diesem einen Teil ihres Vermögens als „stille Teilhaber“ gegen Gewinnanteil überlassen, nicht selten durch letztwillige Bestimmungen dazu angehalten, damit das im Geschäft steckende Kapital nicht durch zu grosse Auszahlungen geschwächt werde. Aber auch kaufmännische Kapitalisten geben jüngeren, kapitalarmen Unternehmern die notwendigen Mittel in Gestalt einer stillen Einlage, sind mitunter wirtschaftlich die Hauptbeteiligten, während der Firmeninhaber die Arbeit leistet und die Haftung den Geschäftsgläubigern gegenüber rechtlich allein trägt. Welche Werte in solchen Beteiligungen angelegt sind, lässt sich, wie betont, schwer feststellen, da das Handelsregister über sie keine Auskunft gibt. An die Gerichtshöfe kommen Rechtsstreitigkeiten aus Gesellschaftsverträgen dieser Art verhältnismässig selten, nach der bescheidenen Zahl höchstrichterlicher Entscheidungen zu schliessen. Aber dass die stille Gesellschaft im wirtschaftlichen Leben eine beträchtliche Rolle spielt, lehrt die tägliche Umschau und ihre Bedeutung wird kaum je abnehmen. Sie zählt zu jenen wenigen Vereinigungsformen, die durch ihre natürliche Einfachheit sich von selbst empfehlen und alle Aenderungen der Kultur überdauern. –

Die offene Handelsgesellschaft, d. h. die Vereinigung zum Betriebe eines Handelsgewerbes unter gemeinsamer Firma derart, dass jeder der Teilhaber den Geschäftsgläubigern gegenüber unbeschränkt einsteht, besitzt ebenfalls ein hohes Alter. Sie ist diejenige Gesellschaftsform, die für den Kaufmannsstand und zwar vornehmlich den Grosskaufmannsstand als die normale, die solideste, die ehrlichste zu bezeichnen ist. Sie beruht auf der Grundidee der Hingabe jedes Gesellschafters mit seiner ganzen Persönlichkeit an die Unternehmung. Jeder ist Mitträger der Firma und wird als solcher in das Handelsregister eingetragen. Jeder hat – in Ermangelung besonderer Abrede – vollen Anteil an der Geschäftsführung, zeichnet die Firma, nimmt an Gewinn und Verlust Anteil und kann bei Fälligkeit einer Gesellschaftsschuld von dem Gesellschaftsgläubiger sofort belangt werden, er kann den Gesellschaftsgläubiger nicht etwa zunächst auf das Gesellschaftsvermögen verweisen, er haftet nicht etwa bloss subsidiär, wie der zivilrechtliche Bürge, sondern sofort primär, die Gesellschaftsschuld ist seine Schuld, die Gesellschaftsehre seine Ehre. Alle diese Momente weisen diese Form in den engeren Bereich der Kaufmannswelt. Sie ist gefährlich für Aussenstehende. Wenn es auch vorkommt, dass von mehreren Geschwistern, die das Geschäft des Vaters, oder von zahlreichen Enkeln, die

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/332&oldid=- (Version vom 9.10.2021)