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III. Staatliche Einflussnahme.

In vielfacher Beziehung greift die staatliche Autorität in den Schiffahrtsbetrieb ein. Sie regelt (für die Besatzung in der „Seemannsordnung“) in einer besonderen, aus der Isoliertheit des auf dem Weltmeere schwimmenden Schiffes und aus seinem Abgetrenntsein von jeder staatlichen Autorität sich ergebenden Weise das Verhältnis der an Bord befindlichen Personen zueinander. Gegenüber der Besatzung stehen dem Schiffsführer und seinen Vertretern, den Offizieren, disziplinarische Befugnisse zu, auch gegenüber dem Passagier bestimmte Rechte, die sich aus der Anschauung ergeben, dass der Schiffsführer bis zu einem gewissen Grade der Träger der Autorität des Staates ist. Das ist schon deshalb notwendig, weil ihm auch die volle Verantwortung für die Sicherheit des Schiffes und der an Bord befindlichen Personen auferlegt ist. Darum verlangt der Staat auch den Nachweis einer Befähigung zur Schiffsführung (durch die staatlichen Prüfungsvorschriften für Offiziere und Kapitäne), ein Nachweis, der je nach der Art der Fahrt, in der das Schiff sich befindet (kleine Fahrt, Küstenfahrt, grosse Fahrt usw., Begriffe, die gesetzlich definiert sind,) verschieden ist. Auch legt der Staat (ebenfalls in der Seemannsordnung) dem Schiffseigner weitergehende Pflichten für die Fürsorge für die Schiffsangestellten auf (eine weitreichende Fürsorgepflicht für den erkrankten Seemann z. B.), als sie in anderen Gewerben üblich sind. Aber der Staat knüpft auch das Recht zur Führung seiner Handelsflagge, das den Anspruch auf den Schutz des Staates verleiht, an die Erfüllung weitgehender Bedingungen. Einzelne Staaten, z. B. die Vereinigten Staaten von Amerika, verlangen sogar, dass die Schiffe im Inland erbaut sind; England und Deutschland und die meisten anderen Länder tun das allerdings nicht, und ermöglichen dadurch ihren Landeskindern auch den Ankauf und Betrieb im Auslande erbauter Schiffe, was eine ungebührliche Verteuerung der Schiffspreise verhindert, die, wie schon oben erwähnt, in den Vereinigten Staaten eins der grössten Hindernisse für die Entstehung einer Handelsflotte ist.

Dagegen verlangt die deutsche Regierung die Erfüllung bestimmter Vorschriften für den Bau und die Einrichtung der Schiffe, verschärfte Vorschriften, wenn sie zur Beförderung grösserer Zahlen von Personen dienen. Über die Beobachtung dieser Vorschriften wacht, soweit die Maschinenanlagen in Frage kommen, eine staatliche Behörde, im übrigen die See-Berufsgenossenschaft, deren Tätigkeit der anderer Berufsgenossenschaften ähnlich, aber in mancher Beziehung gegenüber diesen noch erweitert ist. So hat sie z. B. ehe der Staat einen solchen Gedanken aufgriff, die Witwen- und Waisenversorgung in die Seeschiffahrt als erstes Gewerbe eingeführt. Die Beobachtung der Vorschriften dieser Behörden, die ergänzt werden durch die Bauvorschriften der vom Staate anerkannten Schiffs-Klassifikations-Gesellschaften (Britischer Lloyd, Germanischer Lloyd u. a.) wird durch fortlaufende lnspektionen kontrolliert; nach Ablauf bestimmter Termine sind umfangreiche Instandsetzungen, die sogenannten „Reklassifikationen“ vorgeschrieben, wenn das Schiff nicht seine, von den Klassifikations-Gesellschaften bestimmte „Klasse“ verlieren will, die wieder massgebend ist für die Bemessung der Versicherungsprämien für Schiff und Ladung durch die Versicherungsgesellschaften. Noch wieder besondere Vorschriften sind für die Schiffe erlassen, die Auswanderer befördern; sie überwacht die Auswandererbehörde, die auch weitgehende Vorschriften für die Mitnahme bestimmter Arten und Mengen von Proviant erlassen hat usw. Nicht zu vergessen sind endlich die Vorschriften des Staates über die Navigierung, Lichterführung, Signalgebung, seine Fürsorge für die Befeuerung und Betonnung der Küsten und Flussmündungen, die Untersuchung der Unfälle durch die Seeämter, die die Befugnis der Patententziehung oder -beschränkung gegenüber Kapitänen und Offizieren haben. Alles das, im Verein mit den Fortschritten der Maschinen- und Schiffsbautechnik, z. B. der Einführung der Doppelschrauben, Schotten, die die Schiffe in einzelne durch wasserdichte Wände voneinander getrennte Abteilungen zerlegen und dadurch bei Kollisionen einen grossen Schutz gewähren, ferner die drahtlose Telegraphie, Unterwasserschallsignale u. a. m. haben die Sicherheit der Schiffahrt gegen früher enorm erhöht. An der Vervollständigung und Verbesserung dieser Einrichtungen wird ebenso wie an der internationalen Durchführung einer das Mass der Beladung begrenzenden Tiefladelinie ständig weiter gearbeitet. Gewiss steht es nicht in Menschenmacht, allen Unfällen in der Schiffahrt oder in irgend einem anderen

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/310&oldid=- (Version vom 3.10.2021)