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der Vereinigten Staaten, die der Zahl nach an zweiter Stelle unter allen Nationen steht, gehört insofern nicht dahin, als einen grossen Teil davon die auf den grossen Binnenseen fahrende Flotte ausmacht, die man zur Seeschiffahrt eigentlich nicht zählen kann. Zieht man sie ab, tritt die amerikanische Handelsflotte vom zweiten Platz zurück, und in dem verbleibenden Rest spielt dann noch die Küsten-Seglerflotte eine grosse Rolle. Während in den Zeiten der Segelschiffahrt die amerikanische Flagge auch an der transatlantischen Fahrt hervorragend beteiligt war, ist sie seitdem daraus fast ganz verschwunden, und zwar weil die amerikanische Gesetzgebung im Auslande gebaute Schiffe zur Führung der amerikanischen Flagge nicht zulässt, der Bau von Schiffen in Amerika aber infolge der Verteuerung aller Materialien durch die hohen Schutzzölle erheblich teurer als im Auslande ist. Auch verlangt das amerikanische Gesetz amerikanische Besatzungen, und diese wieder erheblich höhere Löhne als die anderer Länder entsprechend den im allgemeinen sehr hohen amerikanischen Arbeitslöhnen. Ausser in der amerikanischen Küstenfahrt, die durch Gesetz der amerikanischen Flagge vorbehalten ist, verkehren amerikanische Schiffe zwischen nord- und mittelamerikanischen Häfen, und dass der Panamakanal und die dadurch sicher erfolgende starke Belebung des Verkehrs mit der Westküste des Kontinents der amerikanischen Flagge neue Bestätigungsgebiete erschlossen wird, ist gewiss, auch wenn die mit jeder Tagung des Kongresses neu einsetzende Agitation für Gewährung von staatlichen Subventionen und anderen Begünstigungen an die amerikanische Flagge weiter ohne Erfolg bleiben sollte, was aber keineswegs sicher ist. Mit der Eröffnung des Panamakanals steht die Schiffahrt der ganzen Welt überhaupt vor dem Beginn einer neuen Entwicklungsperiode, deren Verlauf im voraus schwer zu beurteilen ist, die aber sicher der Schiffahrt viele neue, bedeutsame Aufgaben stellen wird.

II. Organisation.

Von einer allgemein und einheitlich durchgeführten Organisation ist im Schiffahrtsgewerbe nicht die Rede und kann nicht die Rede sein, weil mit Ausnahme derjenigen Verkehrsgebiete, auf denen ein Staat monopolartige Konzessionen geschaffen hat – in der Praxis gibt es einige derartige Linien, allerdings nicht in England und Deutschland – der freien Betätigung des einzelnen keine Schranken gesetzt sind und in einem Gewerbe, dessen Produktionsmittel an keinen Ort gebunden sind, sondern überall verwandt werden können, auch kaum gesetzt werden können. An Versuchen, den Wettbewerb in vernünftigen Grenzen zu halten, fehlt es indes nicht. Bis zu einem gewissen Grade und für eine begrenzte Zeit sind sie auch teilweise von Erfolg gewesen. Auseinander zu halten sind auch hierbei die zwei grossen Zweige der Schiffahrt, die freie Fahrt und die Linienschiffahrt. In der ersteren ist es bisher niemals gelungen, auf dem Wege des Zusammenschlusses und der freiwilligen Abreden das Wichtigste zu erreichen, nämlich entweder eine Beschränkung des Angebotes von Schiffsraum oder eine Festlegung der Frachtraten. Hinsichtlich des ersteren, der Beschränkung des Angebotes von Schiffsraum, ist es immer nur bei Vorschlägen geblieben, deren im Verlauf der letzten starken Depression im Schiffahrtsgewerbe, 1908/9, verschiedene, auch bei gutem Willen aller Beteiligten durchaus annehmbare, auftauchten. Mit einer Festlegung der Frachten ist ein Versuch durch die Internationale Vereinigung der Segelschiffsreeder gemacht worden; aber bei dem dauernden Rückgang der Frachten, verursacht durch die starke Zunahme der Trampdampfer, hatten diese Abreden keinen Erfolg, sie standen schliesslich auf dem Papier. In der in freier Fahrt verkehrenden Dampfschiffahrt ist der Versuch noch niemals gemacht. Die einzige bedeutende Vereinigung auf diesem Gebiete, eine Vereinigung der an der Fahrt von der Ostsee und dem Weissen Meer beteiligten Reeder (The Baltic and White Sea Owners’ Association), hat ihre Tätigkeit auf die Verbesserung der Frachtverträge und die Abstellung von Missständen in den Hafenplätzen u. dergl., ferner auf die Agitation für eine vernünftige Geschäftspolitik der Reeder gegenüber den Verladern und Schiffsmaklern gerichtet und dabei nach allgemeinem Urteil Erfolge erzielt. Praktisch besteht aber irgend eine Organisation innerhalb der freien Schiffahrt nicht; der Wettbewerb ist in keiner Weise eingeschränkt. Angebot und Nachfrage regeln allein die Frachtsätze an den grossen Frachtenmärkten für die Massenartikel, wie Kohle, Erz, Getreide, Düngestoffe, Baumwolle, Jute, Reis u. a. m.

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 292. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/308&oldid=- (Version vom 3.10.2021)