Seite:Handbuch der Politik Band 2.pdf/301

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

der Eisenbahnverwaltungen, die in den Wasserwegen – meist allerdings zu Unrecht – einen gefährlichen Gegner erblicken, der ihre Einnahmen stark beeinträchtigt, oft übersehen. Häufig arbeiten daher die Eisenbahnverwaltungen der Erbauung von Wasserstrassen entgegen, während tatsächlich die Wasserstrassen berufen sind, die Eisenbahnen bei der Bewältigung des Massengüterverkehrs wirksam zu unterstützen, indem sie den Bahnen die nur bei niedrigen, kaum noch Gewinn abwerfenden Ausnahmetarifen transportfähigen Güter abnehmen, dafür ihnen aber durch die allgemeine Hebung des Wirtschaftslebens höherwertige Güter neu zuführen.

Kommt diese Überzeugung in den beteiligten Kreisen – namentlich bei den Regierungen der betreffenden Staaten – allenthalben zum Durchbruch, werden die neuen Wasserwege weder als ein lästiger Wettbewerb für die Eisenbahnen, welcher die Freiheit der Tarifbildung dieser Verkehrswege unliebsam beschränkt und den Eisenbahnen einen Teil ihrer Frachten entzieht, noch auch als rein geschäftliche Unternehmungen, die für eine reichliche Verzinsung und Amortisation ihrer Anlagekosten sorgen sollen, betrachtet, wird vielmehr ihre Bedeutung und ihr Nutzen für die Gesamtheit von höherer Warte aus richtig gewürdigt, so werden die Schwierigkeiten, die sich der Verwirklichung so grosser und in so viele wirtschaftliche Verhältnisse eingreifender Unternehmungen naturgemäss entgegenstellen, sicherlich überwinden werden können. Es werden sich in einigen Jahrzehnten, wenn vielleicht auch nicht alle die genannten Wasserwege, so doch jedenfalls die Mehrzahl derselben verwirklichen lassen, und es wird sich – wie dies schon bei so vielen anderen Fällen beobachtet werden konnte – zeigen, dass die Schaffung leistungsfähiger Verkehrswege eines der sichersten Mittel ist, einen wirtschaftlichen Aufschwung hervorzurufen. Eine übermässige Belastung des Verkehrs auf den neu geschaffenen Wasserstrassen durch hohe Abgaben sollte vermieden werden, indem richtig gewürdigt wird, dass jeder neu geschaffene Verkehr nicht nur demjenigen, in dessen Auftrag er erfolgt, sondern auch der Gesamtheit zum Nutzen gereicht. Vor allem aber muss verhütet werden, dass die schon vorhandenen Wasserstrassen, an welche sich die neu zu schaffenden anschliessen sollen, durch eine starke Belastung mit Abgaben allzusehr beeinträchtigt werden, denn die geplanten süddeutschen Schiffahrtsstrassen bilden nur einen Teil des deutschen bezw. mitteleuropäischen Wasserstrassennetzes und jede Belastung dieses Netzes muss auf die angeschlossenen neuen Teile rückwirkend von schädlichem Einfluss sein.

Erhält Süddeutschland ein leistungsfähiges und weitsichtig geleitetes Netz von Grossschiffahrtswegen, und werden gleichzeitig die in seinen Strömen und Gebirgsflüssen noch schlummernden gewaltigen Energiemengen erschlossen, so fallen die wesentlichsten Hemmungen, welche seither Süddeutschland in seiner wirtschaftlichen Entwicklung behindert haben, fort. Süddeutschland wird dann erfolgreich den Kampf mit seinen Nachbarn aufnehmen und seine keineswegs armen natürlichen Hilfsmittel voll erschliessen können. Der Einsatz zur Erreichung dieses Zieles kann kaum zu hoch sein.

Alle Berufenen sollten daher zusammenwirken, um das schon so lange angestrebte Ziel des Ausbaues eines leistungsfähigen Wasserstrassennetzes in Süddeutschland zu erreichen. Der Nutzen wird nicht nur dem Süden des Deutschen Reiches, sondern auch dem Norden zufallen, der durch die Wasserstrassen noch enger zu einer wirtschaftlichen Einheit mit dem Süden zusammengefügt werden wird, und der bei dem Austausch von Rohstoffen und Fertigwaren mit einem wirtschaftlich starken Süddeutschland nur gewinnen kann.



Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 285. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/301&oldid=- (Version vom 2.10.2021)