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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

45. Abschnitt.


Schutzzoll und Freihandel.
Von
Dr. Martin Weigert
vom volkswirtschaftlichen Sekretariat der Ältesten der Kaufmannschaft, Berlin.


Inhalt:

1. Die merkantilistische Doktrin: Hochschutzzoll und Prohibitivsystem. – 2. Die merkantilistischen Schriftsteller a) in Italien, b) in England, c) in Frankreich, d) in Deutschland. – 3. Die merkantilistische Staatspraxis a) in England, b) in Frankreich, c) in Preussen. d) in anderen Staaten. – 4. Die wissenschaftliche Kritik und Opposition gegen die merkantilistische Lehre durch die Physiokraten. – 5. Adam Smith und die Freihandelslehre. – 6. Die Freihandelsschulen a) in England, b) in Frankreich, c) in Deutschland. – 7. Die Freihandelsaera in der Staatspraxis a) Englands, b) Deutschlands, c) Frankreichs, d) Russlands. – 8. Die Lehren Friedrich List’s. – 9. Die moderne wissenschaftliche Schutzzolllehre. – 10. Die wissenschaftliche Kontroverse Industrie- oder Agrarstaat. – 11. Die moderne Schutzpolitik a) in Deutschland, b) in Frankreich, c) in Russland, d) in Oesterreich-Ungarn, e) in den Vereinigten Staaten. – 12. Der Imperialismus in Grossbritannien. – 13. Würdigung der heutigen Schutzzollaera.

Literatur:

W. Lotz, „Die Ideen der deutschen Handelspolitik“ (von 1860–1891); –
K. Oldenberg, „Deutschland als Industriestaat“ 1897. –
Bretano „Das Freihandelsargument“ München 1901. –
H. Dietzel, „Sozialpolitik und Handelspolitik“, Berlin 1901. –
Karl Helfferich, „Handelspolitik“ Leipzig 1901. –
Grambow, „Die deutsche Freihandelspartei zur Zeit ihrer Blüte“, Jena 1903. –
von Schmoller, „Grundriss der Allgem. Volkswirtschaftslehre“, Teil II, Leipzig 1904, S. 558/652. –
J. Conrad, „Grundriss der polit. Oekonomie“, Jena 1905. §§ 88/94. –
K. Rathgen, „Die Ansichten über Freihandel und Schutzzoll in der deutschen Staatspraxis i. Festschrift für Schmoller 1908, II. Bd. 17“ –
Kerbel, „Ansichten über Freiheit und Beschränkung des inneren Handelsverkehrs“, ebendas., Bd. 28. –
E. Leser, „Freihandelsschule“ im Handwörterbuch d. Staatswis., Bd. 4, 1909. –
Grunzel, „Handelspolitik“, Leipzig 1910. –
Lexis, „Freihandelsschule“ i. Elster, Wörterbuch der Volkswirtschaftslehre III. Aufl., Bd. I. Berlin 1911. –
Rathgen, „Schutzsystem“, ebendas., Bd. I, S. 743, ff. –

1. Die merkantilistische Doktrin.

Der Kampf der Ansichten über Freihandel und Schutzzoll, allgemeiner gefasst über die zweckmässigste Handelspolitik, hat gewissermassen erst die wissenschaftliche Betrachtung des Wirtschaftslebens, die Nationalökonomie, ins Leben gerufen. So befasst sich das älteste Kapitel der Volkswirtschaftslehre in erster Linie mit der theoretischen Erörterung der Frage, wie durch Regelung resp. durch Beschränkung von Ein- und Ausfuhr die Produktion und der Reichtum eines Volkes zu steigern sei.

Die reiche Literatur, die im 17. Jahrhundert über dieses Thema entstand, wird in der Geschichte der Volkswirtschaftslehre unter dem Namen der merkantilistischen Literatur zusammengefasst. Der Merkantilismus, die Förderung des mercator, die Hebung der Commercien, der Verkehrswirtschaft sollte die wirtschaftliche Grundlage des Reichtums und damit die Macht der Staaten schaffen. Die Anschauungen, die die wissenschaftlichen Vertreter des Merkantilismus ihren Abhandlungen zu Grunde legen, wurzeln in den Grundsätzen der Handelspolitik der grossen Stadtrepubliken des Mittelalters mit ihrer planmässigen Marktförderung, ihren Taxen, Privilegien an die Gewerbetreibenden und ihrer Organisation der Verkehrswirtschaft. Das Neue in der Behandlung liegt nur darin, dass man nicht mehr die einzelne geschlossene Stadt mit ihren wirtschaftlichen Bedürfnissen, sondern den Staat als wirtschaftliche Einheit zum Ausgangspunkte nimmt. Abgesehen jedoch hiervon haftet den Auffassungen der Merkantilisten der in der mittelalterlichen Handelspolitik zutage tretende privatwirtschaftliche Charakter in sehr starkem Masse an. Derselbe zeigt sich schon in der Art wie die Merkantilisten meinten, den Volkswohlstand heben zu können: Wie der Privatmann reicher wird, wenn er mehr Geld besitzt, so meinten sie auch ein Land am schnellsten reich machen zu können durch Vermehrung des Geldes, welches sie mit Edelmetall identifizierten. Da nun in den meisten europäischen Staaten das Edelmetall, besonders das Gold, nicht in den Mengen bergmännisch gewonnen wurde, als Bedarf vorlag, untersuchte man,

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/255&oldid=- (Version vom 26.9.2021)