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und Reichsentwicklung. Allerdings tragen die Gemeinden zum Teil selbst Schuld an diesem Vorgange. Statt sich dieser Einnahmequelle bei Zeiten zu versichern und sie nach ihren Verhältnissen und Bedürfnissen zweckmässig auszubauen, hat die übergrosse Mehrzahl von ihnen unter dem Einfluss der in den Gemeindekörpern vielfach dominierenden Grund- und Hausbesitzer sich ihr gegenüber ablehnend verhalten und dem Reiche den Vortritt gelassen.

Im allgemeinen liegen die Verhältnisse, was Beweglichkeit und Geeignetheit des Steuerwesens betrifft, für die Gemeinden da günstiger, wo ihnen eigene Steuern zur Erhebung zugewiesen sind wie in Preussen, vor allem die Ertragsteuern vom Immobiliarbesitz und vom Gewerbe; denn die Besitzer von Land, Gebäuden und Gewerbebetrieben, namentlich die beiden ersteren, geniessen von der gedeihlichen Entwicklung der Gemeinde grössere Vorteile als die übrigen Gemeindebewohner. Freilich darf die Anspannung dieser Steuern nicht übertrieben, muss daneben auch die Einkommensteuer für gemeindliche Zwecke in Anspruch genommen werden; denn die Einrichtungen und Anstalten der Gemeinde kommen allen zugute. Auch wird der Staat nicht umhin können, die Grenzen zu ziehen, innerhalb deren sich die Autonomie in der Festsetzung der Steuersätze bei den einzelnen Steuerarten betätigen kann, damit verhindert werde, dass die jeweils herrschende Majorität die Steuerlast nach Willkür verteile oder die Gemeinden sich zwecks Anlockung von Industriellen oder Kapitalisten gegenseitig in den Steuersätzen unterbieten. Bedenklich bei dieser Ordnung, wie sie in Preussen besteht, ist die Tatsache, dass für Gemeindezwecke das Einkommen aus Lohn, Honorar und Besoldung gleich stark zur Besteuerung herangezogen wird, wie das fundierte Einkommen des Kapitalisten. Im übrigen hat die preussische Regelung, die dem Staate die Einkommen- und Vermögenssteuer, die letztere ganz, die erstere zum grossen Teile, als prinzipale Steuereinnahmen sichert, die Gemeinden in erster Linie auf die Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer verweist, den Vorteil, dass die Steuerlast doch zweckentsprechender verteilt ist als da, wo gleichmässige Zuschläge zu allen Steuern erhoben werden. Nicht unbefriedigend, wenn auch stark schematisch, ist die Regelung des gemeindlichen Umlagewesens in Bayern durch Gesetz vom 14. August 1910. Hier werden für die Gemeindebesteuerung sämtliche Grund-, Haus- und Gewerbesteuern mit den 2½ fachen, sämtliche Kapitalrentensteuern mit den 1½ fachen, sämtliche Einkommensteuern mit den halben Beträgen, grössere Berufseinkommen dagegen mit höheren Beträgen in Ansatz gebracht. Recht bedenklich ist es, dass den Gemeinden vielfach das Recht eingeräumt ist, die Besteuerung auch auf Einkommen zu erstrecken, die sich unter dem für die Staatsbesteuerung festgesetzten Minimum bewegen.

Im vorstehenden sind nur die hauptsächlichsten Richtlinien bezeichnet, in denen künftige Steuerreformen sich bewegen dürften. Auf Details einzugehen verbietet die Begrenztheit des Raumes. Es soll aber bereitwillig zugegeben werden, dass die Schwierigkeiten vielfach erst anheben. wenn die Richtlinien durch gesetzliche Normierung des Existenzminimums, der Progression, der Steuerstufen, der Voraussetzungen für Steuererleichterungen usw. in die Praxis übertragen werden sollen. Sind schon die Richtlinien strittig, so fehlt es hierfür vollends an jedem objektiven Massstab; allgemeine Erwägungen, persönliche Eindrücke, Gefühl und Empfindung, aber auch die Not der Verhältnisse, wirtschaftliche Rücksichten u. a. treten an deren Stelle und treffen Entscheidungen, die weder die Wissenschaft noch den einzelnen Steuerzahler befriedigen. Es mag nicht unangebracht sein, zum Schlusse der Hemmungen und Widerstände zu gedenken, die sich der Entwickelung des Steuerwesens in der Richtung auf grössere Gerechtigkeit und Gleichheit der Belastung entgegenstellen und zur Resignation zwingen.

Es gibt deren eine grosse Zahl. Sie liegen einmal in der Notwendigkeit, die für die Deckung des Staatsbedarfes und die formale Ordnung der Finanzen erforderlichen Mittel unter allen Umständen aufzubringen, selbst wenn dabei die Forderungen der ausgleichenden Gerechtigkeit zu kurz kommen sollten. Wir haben dies bei der letzten Reichsfinanzreform erlebt, als die Reichsfinanzverwaltung durch den Willen des Parlamentes gezwungen war, Steuern preiszugeben, die, vom Standpunkte der gerechten Lastenverteilung aus betrachtet, den Vorzug verdient hätten, und andere zu akzeptieren, gegen die, wieder von diesem Standpunkte aus, erhebliche Bedenken bestanden. Es wäre ungerecht, dafür die Reichsfinanzverwaltung verantwortlich zu machen, deren erste Aufgabe doch darin bestand, einer weiteren Verwirrung der Finanzen vorzubeugen

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/156&oldid=- (Version vom 14.9.2021)