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nichts weniger als sicher, so dass in Wirklichkeit durch die Steuer bloss der Glücksversuch getroffen wird. Es handelt sich hier um einen „konsumtiven“ Aufwand, insofern durch denselben der aleatorische Trieb befriedigt wird, aber doch um einen „Aufwand“, welcher gleichzeitig eine „Kapitalsanlage“ darstellt.

Verhältnismässig hoch von den zwei hier in Frage kommenden Steuern ist die Lotterielossteuer, verhältnismässig niedrig die Börsensteuer, diese unter dem Zwang der Verhältnisse, da sie gleichzeitig auf Effektivgeschäfte fällt und Effektivgeschäfte sich äusserlich von Differenzgeschäften nicht unterscheiden. Ueberdies spielt im Verhältnis zum Lotterielos das Spekulationsgeschäft an der Börse immer noch die produktivere Rolle, schafft mit dem Ergebnis jederzeitig leichterer Bedarfsbefriedigung zusätzliches Angebot und Nachfrage.[1]

Die Steuer von Lotterielosen (20% vom Nennwert bei inländischen, 25% bei ausländischen Losen) trug 1912 nicht weniger als 50.3 Millionen. Wieviel aus dem Gesamtertrag der Börsensteuer auf spekulative Transaktionen zu rechnen ist, ist unbestimmbar.

Handelt es sich hier um Steuern mit Zwittercharakter, wenn auch im Wesentlichen um solche auf den Glücksversuch, so sind unzweideutige Einkommens-Ergänzungssteuern die Erbschaftssteuern, die Tantiemensteuer, weiter die Vermögenszuwachssteuer von Grundstücken und auch die Zinsbogensteuer.

Die Erbschafts- (und Schenkungs-) Steuer, in der letzten Reichsfinanzreform viel umstritten – hier schieden sich die Wege der Parteien und über die Nichtbewilligung der Reichserbschaftssteuer auf legitime Deszendenten und Ehegatten fiel der vierte Reichskanzler –,[2] wird vom Reiche gegenwärtig als rudimentäre Erbschaftssteuer bei Erbschaften, die an entfernte Verwandte, an Nichtverwandte, sowie an Aszendenten gehen, und von Deszendenten insoferne es sich um uneheliche, später legitimierte, sowie um Stief- und Adoptivkinder handelt, erhoben. Ihre Sätze sind nicht niedrig zu nennen, beträgt doch der Normalsatz für Geschwister und Geschwisterkinder, auch Eltern 4, der Satz für Schwiegerkinder und Abkömmlinge zweiten Grades von Geschwistern (Grossneffen usw.) 6 und bei weiterer Verwandtschaft und Nichtverwandtschaft 8 und 10% und erfahren diese Sätze einen Zuschlag, der mit 1/10 (des Normalsteuersatzes) bei Ueberschreitung von 20 000 Mark Erbschaftswert beginnt und volle 15/10 bei Ueberschreitung der Million erreicht. Die Steuer kann also in den verschiedenen Steuerklassen 10, 15, 20 und 25% betragen. Sie wetteifert dadurch bereits mit den Steuersätzen der Länder, die ihre Erbschaftssteuer zur höchsten Entwickelung gebracht haben, und doppelt auffällig war unter solchen Umständen die Freilassung der Deszendenten. Indess gibt es, wie unten des Näheren nachzuweisen, einzelne, wenn schon wenige Einzelstaaten in Deutschland, die Deszendentensteuern erheben (Hansa-Städte und Elsass-Lothringen). Im übrigen sind neuerdings die Deszendenten durch die Vermögenzuwachssteuer von 1913 zur Steuer genommen.

Von dem Ertrag der Reichserbschaftssteuer fällt an die Bundesstaaten ¼, auch haben sie das Recht, Zuschläge zu dieser zu erheben.

Die der Erbschaftssteuer zu gebende Begründung ist strittig. Für uns ist die Erbschaftssteuer eine Spezialsteuer auf Gelegenheitseinkommen, im besonderen auf Konjunktural- oder Glücks-„Einkommen“: Die „Konjunktur“ ist der Erbanfall. Der Erbschaftssteuer ist übrigens eine Steuer von Schenkungen unter Lebenden angegliedert.

Der Ertrag der Reichserbschaftssteuer (im Voranschlag für 1912 und 1913 43.5 und 47 Mill.) war 1911 volle 59.9 Millionen. Die zur Versteuerung kommende Erbschaftsmasse war 1911 818 Mill. Mark, davon 285 Millionen Erbschaften von Geschwistern, 238 Millionen von Geschwisterkindern,


  1. Anderweitige produktive Funktionen von Bedeutung dürften der Spekulation kaum zuzugestehen sein. Vgl. darüber letzthin meine „Volkswirtschaft der Gegenwart und Zukunft“, 1912.
  2. Über den Kampf um die Erbschaftssteuer gelegentlich der letzten Reichsfinanzreform und seine tieferen Gründe vgl. nebst Julius Wolf, Die Reichsfinanzreform, 1909, S. 58 ff. vor allem Adolf Wagner in seiner Schrift „Die Reichsfinanznot und die Pflichten des deutschen Volks wie seiner politischen Parteien. Ein Mahnwort eines alten Mannes“, 1908, und Hans Delbrück in den Preussischen Jahrbüchern, 1908, sowie Strutz, Reichs- und Landessteuern (Finanzw. Zeitfr., herausgeg. von G. v. Schanz und Jul. Wolf) 1913.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/107&oldid=- (Version vom 10.9.2021)