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Eine Teilung der Trägerschaft der Staatsgewalt zwischen Monarch und Volksvertretung ist durch das Wesen der konstitutionellen Monarchie jedenfalls ausgeschlossen; auch der konstitutionelle Monarch ist – quoad ius, der Substanz nach – Alleinträger der Staatsgewalt, da die Befugnisse der Volksvertretung nur die Sphäre der Ausübung (exercitium) der Staatsgewalt von seiten des Monarchen und seiner Hilfsorgane berühren. Die Volksvertretung ist niemals Körperschaft (juristische Person), sondern lediglich Kolleg, das bald nach dem Einkammer- bald nach dem Zweikammersystem organisiert ist. In letzterem Falle handeln die beiden Kammern regelmässig zwar als selbständige Abteilungen, doch bilden sie rechtlich ein zusammengehöriges organisches Ganze und die übereinstimmende Beschlussfassung beider Kammern gilt regelmässig als Wille der Volksvertretung. Die konstitutionelle Monarchie hat ihren Namen von der regelmässig in Erfüllung gegangenen Forderung, dass die Organisationsprinzipien über die Stellung des Monarchen und der Volksvertretung in einem förmlichen Staatsgrundgesetz (Konstitutionsurkunde, Konstitution) niederzulegen seien. Als weitere Konsequenzen der konstitutionellen Monarchie sind auch die Rechtsprinzipien, dass die Ausübung der richterlichen Gewalt im Namen des Monarchen unabhängigen, nur dem Gesetz unterworfenen Gerichten anvertraut werde, sowie dass die Rechtsgültigkeit der Regierungsakte des Monarchen (auf dem Gebiete gesetzgebender und vollziehender Gewalt) an die Mitwirkung (Kontrasignatur) von der Volksvertretung verantwortlichen Ministern gebunden sei, allgemein zur Anerkennung gelangt. Die Ministerverantwortlichkeit ist das notwendige Correlat der persönlichen Unverantwortlichkeit des Monarchen, kann jedoch in den einzelnen Staaten rechtlich mehr oder weniger gesichert sein; das stärkste Sicherungsmittel ist ein geordnetes parlamentarisches Anklagerecht.[1]

2. Der Staats- bezw. Verfassungsform „Republik“ gehören im Gegensatz zur Monarchie alle Staaten an, in welchen die Einheit einer Mehrheit von Willenssubjekten Träger der Staatsgewalt ist. Je nachdem der Kreis der mehreren Willenssubjekte enger oder weiter gezogen ist, unterscheidet man innerhalb der Kategorie „Republik“ Aristokratie und Demokratie. Die altgriechische Lehre von der Trias: Monarchie, Aristokratie, Demokratie verkennt, dass im Grunde nur ein quantitativer, nicht ein qualitativer Unterschied zwischen Aristokratie und Demokratie obwaltet. Das juristisch entscheidende Kriterium für die innere Wesensgleichheit von Aristokratie und Demokratie liegt darin, dass der einheitliche Wille des Trägers der Staatsgewalt hier nicht, wie in der Monarchie, durch einen psychologischen Prozess hervorgebracht wird, sondern künstlich durch einen juristischen Prozess, welcher aus den verfassungsmässig geäusserten Willen mehrerer Willenssubjekte im Rechtssinne einen Willen entstehen lässt. Auf solcher gemeinsamer Basis ist Aristokratie die Spezies der Republik, in welcher Träger der Staatsgewalt eine vornehme Minderheit des Staatsvolks ist, Demokratie aber diejenige Spezies der Republik, in welcher die Gesamtmasse der aktiven Staatsbürger den Herrscher darstellt. Die Aristokratie ist rechtliche Klassenherrschaft gegenüber der überwiegenden Mehrheit des Staatsvolks, während die Demokratie die Volksgemeinde, die grosse Gesamtheit der Vollgenossen des Staatsverbandes zum Herrscher


  1. „Konstitutionell“ sind gegenwärtig alle deutschen Monarchien mit Ausnahme der beiden Mecklenburg, deren Organisation selbst noch immer der Struktur des mittelalterlich-dualistischen Ständestaats sich nähert, wenngleich „das entschiedene Übergewicht der Krone das ständische Corpus zu einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft innerhalb des einheitlich gestalteten monarchischen Staatswesens herabgedrückt hat“. Preussen war bis 1848 eine ständische Monarchie, insoweit Provinzial- und allgemeine Stände dem König beschränkend zur Seite standen (V. 22. V. 1815; G. 5. VI. 1823; P. 3. II. 1847), und eine absolute Monarchie, insoweit diesen Ständen nur eine beratende Stimme bei gewissen Gesetzgebungsakten des Königs zukam. Erst mit der (oktroyierten) Verfassung vom 5. XII. 1848 begann für Preussen die konstitutionelle Monarchie. Als Norm des „monarchischen Prinzips“ gilt aber noch jetzt A.L.R. II 13 § 1 – Die „parlamentarische“ Monarchie ist keine rechtliche Spezies der konstitutionellen Monarchie, sondern nur eine politisch besonders gefärbte Art der Staatsregierung in einer solchen. Während dem konstitutionellen Monarchen an und für sich die freie Auswahl der für seine Regierungsakte die Verantwortung tragenden Minister zusteht, kann in gewissen Staaten das politische Gewicht der Volksvertretung so stark sein, dass der Monarch aus Zweckmässigkeit die Minister tatsächlich immer der jeweiligen Parlamentsmajorität zu entnehmen sich entschliesst. Dies parlamentarische Regierungssystem ist den deutschen Monarchien fremd.
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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/97&oldid=- (Version vom 12.7.2021)