Seite:Handbuch der Politik Band 1.pdf/45

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

besass, von sich aus in einer rein monarchischen wohlgegliederten Staatsform über das viel zu grosse Reich hin Fuss zu fassen. So ergab sich denn für das Reich, das in gänzlichem Ruin seiner Finanzen und in vergeblichen Versuchen zur Begründung einer Verwaltung im Laufe des 13. Jahrhunderts zerschellt war, ein halb staatloser Zustand, der auch dann noch fortdauerte, als seit Rudolf von Habsburg die Krone neue Träger erhalten hatte. Die Lage wurde noch komplizierter dadurch, dass in diesen Zustand hinein nunmehr die Entwicklung der Geldwirtschaft fiel, bei der die Organisation des neuen Zustandes nicht voll und gleichmässig organisch dem Volksleben eingefügt werden konnte, sondern vielmehr in den Städten besondere, lokal stark betonte Zentren suchte, was dann zur Entwicklung mehr oder minder selbständiger Städtewesen geführt hat. Da nun gleichzeitig in den dem Reiche sich mehr oder minder auslösenden Territorien der Feudalismus speziell begründet zu werden begann, diese Gründung aber wiederum schon deshalb misslang, weil zu ihrer Durchführung der unbedingt notwendige Treubegriff des früheren Mittelalters allmählich hinwegfiel, so ergab sich ein allgemeines Chaos der Entwicklung, durch welches namentlich die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts, sowie die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts charakterisiert wird. Versuchte man aus ihm in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts und noch in der ersten des 16. durch die Entwicklung eines Föderativsystems herauszugelangen, so war dies ein Gedanke, der in einem Zeitalter des aufkommenden persönlichen Individualismus gewiss sehr nahe liegen musste. Allein, war er durchführbar? Föderativstaaten sind im allgemeinen Staatsbildungen sehr hoher Kultur, und ihre Berechtigung beruht in der wohlerwogenen gegenseitigen Abgrenzung mehr heimatlicher und territorialer und sehr weiter grosse Landstrecken umfassender Reichsinteressen, auf einem Gegensatz mithin, der in dieser Weise dem 15. Jahrhundert wohl kaum schon als Motiv einer Staatsbildung geläufig sein konnte. Wie dem auch sei, der Versuch der Bildung eines Föderativstaates gelang nicht. Es kam vielmehr zu einer sozialen Revolution, die sich mit der kirchlichen Revolution zeitlich zusammenfand, und da die Kaiser der späteren Zeiten nur noch sehr selten gänzlich misslungene Versuche zur Durchbildung eines Reiches in der Richtung des nunmehr in Europa herrschenden Absolutismus gemacht haben, so ging das Reich einem durch nichts mehr aufzuhaltenden Ruin entgegen. Der Absolutismus aber hat sich in Deutschland in den einzelnen Territorien durchgebildet.

IV. Absolutismus des individualistischen Zeitalters.

Sucht man die Wurzeln des Absolutismus des 15.–18. Jahrhunderts klar zu legen, so liegt nach der bisherigen Auffassung der Dinge am nächsten, von wirtschaftlich- und sozialgeschichtlichen Erscheinungen auszugehen. Es würde da gesagt werden können, dass die grossen Grundherrschaften der künftigen Herrscher in den einzelnen Territorien schon seit ihrer Durchbildung im 10. Jahrhundert anfingen, ein starkes wirtschaftliches Rückgrat des kommenden Absolutismus abzugeben, dass weiterhin die Überweisung oder die Usurpation von Reichsrechten die Territorien rechtlich mit staatlicher Gewalt ausstattete, dass von diesen beiden Motiven her schon im 13. Jahrhundert von Landesstaaten geredet werden konnte, dass diese sich dann mit dem ersten Einziehen geldwirtschaftlicher Tendenzen von der lehensstaatlichen Gliederung ihrer Verwaltung frei machten, und dass dieser Vorgang unter der allgemeinen Zunahme der Geldwirtschaft sich bis zum 18. Jahrhundert stärker und stärker fortsetzte. Von diesen verschiedenen Motiven wäre wohl bloss das letzte noch einer weiteren Ausführung bedürftig. Der Urkundenvorrat des 12.–14. Jahrhunderts beweist beinahe für alle Gegenden Deutschlands die allmähliche Abwandlung der ursprünglichen Lehensverwaltung, und da, wo diese Verwaltung schon ganz selbständig geworden war, ihren Ersatz durch neue Verpflichtungen im Sinne eines primitiven modernen Beamtentums. Die Übergangsformen sind dabei sehr mannigfaltig, aber überall sehen wir, wie an Stelle des treueidlich gebundenen und naturalwirtschaftlich besoldeten Beamten der früheren Jahrhunderte ein mehr oder minder geldwirtschaftlich besoldeter und dem Herrn zu absoluter Verfügung stehender, vielfach militärisch geschulter und sich anfangs keineswegs besonderer Standesrechte erfreuender Verwaltungsdiener tritt, der in der Regel den Namen Amtmann geführt hat. Ist dabei der Amtmann in den einzelnen Staaten die Stütze der Lokalverwaltung, so tritt allmählich immer stärker über

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/45&oldid=- (Version vom 1.7.2021)