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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

Mannschaft der Sippe B in die gleiche Fehde gegenüber der Sippe A eintrat: – ein Vorgang, der Vernichtung der beiderseitigen Geschlechter führen konnte. Es ist also zunächst das Motiv der Selbsterhaltung, welches zur innerlichen Bindung der einzelnen Geschlechter aneinander in dem Sinne führte, dass eine Form gefunden wurde, die eine gegenseitige Selbstvernichtung zu verhindern geeignet war. Diese Form mag anfangs die der schiedsrichterlichen Vermittlung der Gesamtheit aller Geschlechter in einem bestimmten Verbande gewesen sein. In der taciteischen Zeit ist diese Vermittlungstätigkeit aber schon längst einem als strafrechtlich zu charakterisierenden Verfahren gewichen, so dass sich für deutsche Verhältnisse mit voller Sicherheit behaupten lässt, dass der eigentliche Staat aus der primitiven Geschlechterverfassung durch die Entwicklung strafrechtlicher Formen hervorgegangen sei. Indem nun aber zunächst für diese wichtigste aller internen Angelegenheiten, die Friedensstiftung, die damit zu dem Urzweck des Staates auf germanischem Boden wurde, allmählich weitere Zwecke gegenseitigen Zusammenlebens traten, musste sich die ursprüngliche Versammlung aller Geschlechter, in der über die Niederlegung der Fehde zwischen den Geschlechtern beraten wurde, zu einer allgemeinen Staatsversammlung erweitern, dem bekannten Concilium civitatis, in welchem nunmehr der neue Staat in den Personen aller ihm Angehörigen direkt in sinnliche Erscheinung trat.

Wird man geneigt sein, nach diesem letzten und höchsten Moment der Entwicklung den urzeitlichen Staat nach den hergebrachten aristotelischen Kategorien als Demokratie zu bezeichnen, so ist doch eine zutreffende und allumfassende Charakteristik dieser Staatsbildung nur möglich, wenn man auf den Charakter des besonderen Seelenlebens zurückgeht, in dem sich seine Angehörigen befanden. Das Entscheidende ist hier, dass die Differenzierung der einzelnen Personen nach Willenstätigkeit und Eindrucksfähigkeit, nach Kenntnis und Verständnis noch so wenig vorgeschritten war, dass sich aus der für alle einheitlichen psychologischen Gesamtlage ein Zustand ergab, in dem es noch möglich war, die einzelnen Personen, sowohl in dem Recht des Geschlechts wie staatsrechtlich, als fungibel zu betrachten. Dies aber ist nun, soweit man bisher zu sehen vermag, die allgemeine Voraussetzung aller urzeitlichen Staatsformen. Ist damit die psychologische Grundlage einer primitiven Staatsentwicklung, in der ganz allgemein weniger von Staatskunst als von unbewusstem Staatswerden die Rede sein kann, aufgedeckt, so ist über ihren Charakter noch einiges hinzuzufügen. Die nachgewiesene typische Grundlage des Seelenlebens verhindert nicht etwa, dass sich im Bereiche der Kulturen, für die sie gilt, bestimmte Persönlichkeiten herausbilden konnten bis zur von sehr verschiedener Komplexion des Temperaments und von sehr verschiedener Höhe des Intellekts. Das Charakteristische ist nur, dass diese Verschiedenheit bei der allgemeinen Gleichheit der kulturellen Voraussetzungen, wie sie in dem äusseren Gesamtleben, in wirtschaftlichem und sozialem Status etc. gegeben waren, in den gemeinsamen Verfassungsformen nicht zum Ausdruck gelangten.

II. Urzeitlicher Absolutismus.

Die ersten grundstürzenden Wandlungen in dem eben geschilderten Zustande vollzogen sich auf deutschem Gebiete wohl dadurch, dass eine Reihe ursprünglich in dieser Weise nicht vorhandener kriegerischer Motive auftraten. Dahin gehört, wie schon oben angedeutet, die Entwicklung des Gefolges, weiterhin der Aufruf zu mehr oder minder regelrechten Beutezügen und die grosse Zahl derjenigen Erscheinungen, welche auf kriegerische Wanderungen hinweisen. Hiernach könnte man geneigt sein, das Auftreten dieser Motive auf Wanderung überhaupt zurückzuführen. Indes dies wäre doch wohl eine zu äusserliche Lösung. Zu Grunde liegt all den Erscheinungen vielmehr die Entwicklung einer spezifischen Haltung der Unterordnung, wie man es vielleicht auch schon ausdrücken könnte, des Dienstes. Ein solcher Begriff als soziales und politisches Motiv kann sich natürlich nur in einer Kultur eingestellt haben, welche auf irgend eine Weise den Gedanken der Unterordnung überhaupt schon zu entwickeln im Begriff war. Dabei mag dahingestellt bleiben, ob dies auf deutschem Gebiete durch eine Fortentwicklung des Wirtschaftslebens, sei es auf nomadischer oder agrarischer Grundlage oder sonst irgendwie geschah. Soviel ist aber klar, dass mit der regulären Entwicklung des Begriffs der Unterordnung zugleich eine starke psychologische Wandlung vor sich gehen musste. Es gab jetzt ganz anders als früher die Vorstellung von Befehlen und

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/41&oldid=- (Version vom 30.6.2021)