Seite:Handbuch der Politik Band 1.pdf/276

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

Ebensowenig gehören Bestimmungen, wie die für die älteren Provinzen Preussens bestehende Vorschrift des § 3 des Gesetzes, betreffend die Verletzungen der Dienstpflichten des Gesindes und der ländlichen Arbeiter, vom 24. April 1854 (Gesetzsamml. S. 214), oder die dieser nachgebildeten Vorschriften anderer Bundesstaaten (§ 6 des anhaltischen Gesetzes, betreffend den Vertragsbruch in landwirtschaftlichen Arbeitsverhältnissen, vom 16. April 1899 – Gesetzsamml. Nr. 1036 – und § 5 des Gesetzes für das Fürstentum Reuss jüngerer Linie vom 12. Mai 1900, betreffend die Bekämpfung des Vertragsbruchs landwirtschaftlicher Arbeiter und Arbeitgeber, (Gesetzsamml. Nr. 605) dem von dem Gesetze geregelten Gebiete des Vereins- und Versammlungsrechts an. Diese Vorschriften bedrohen lediglich bestimmte Verabredungen ländlicher Arbeiter und Dienstboten mit Strafe.

Dem Wunsche, zu gleicher Zeit die Rechtsverhältnisse der „Berufsvereine“ zu regeln, ist der Entwurf ebenfalls nicht gefolgt. Er greift zwar in öffenrechtlicher Beziehung in das Leben dieser Berufsvereine mächtig ein, allein er befasst sich vor allem mit der privatrechtlichen Stellung, der Rechtsfähigkeit der Berufsvereine gar nicht. Die Versuche einer Ordnung dieser politisch schwierigen Materie sind bisher im Reichstage gescheitert. –

Das Vereinsgesetz will in der Hauptsache nur die Förmlichkeiten festlegen, die diejenigen erfüllen müssen, die Vereine bilden und Versammlungen abhalten wollen.

B. Einzelbestimmungen des Gesetzes:

1. Die Grundbestimmung des Gesetzes in § 1 sagt:

„Alle Reichsangehörigen haben das Recht, zu Zwecken, die den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen, Vereine zu bilden und sich zu versammeln. Dieses Recht unterliegt polizeilich nur den in diesem Gesetz und anderen Reichsgesetzen enthaltenen Beschränkungen.
Die allgemeinen sicherheitspolizeilichen Bestimmungen des Landesrechts finden Anwendung, soweit es sich um die Verhütung unmittelbarer Gefahr für Leben und Gesundheit der Teilnehmer an einer Versammlung handelt.“
Die Fassung entstammt den Kommissionsbeschlüssen des Reichstages. Sie soll vor allem den Polizeichikanen der Polizeibehörden vorbeugen, die Jahrzehnte lang den Gegenstand der Klagen fast aller Parteien des Reichstages bildeten.

2. Hinsichtlich der Teilnahme der Frauen an Vereinen und Versammlungen lässt das Reichsgesetz alle bisherigen landesgesetzlichen Beschränkungen fallen. Die Frauen sind vereinsrechtlich den Männern nunmehr völlig gleichgestellt.

3. Die Regierungsvorlage liess auch alle jugendlichen Personen ohne Beschränkung zu. Erst in der Reichstagskommission fand die Bestimmung Aufnahme, dass Personen unter 18 Jahren von politischen Vereinen und Versammlungen ausgeschlossen sein sollen (§ 17).

4. über den Begriff des „Vereins“, der „öffentlichen Versammlungen“ s. die reichhaltige frühere Literatur und Judikatur der Gerichte, die noch für die Zukunft volle Geltung haben, da der Reichstag wie die verbündeten Regierungen alle Versuche von Legaldefinitionen der Begriffe „Verein“ und „Versammlung“ aus guten Gründen als unmöglich und gefährlich ablehnten.

5. Alle Präventivverbote für öffentliche Versammlungen sind an sich unzulässig. Nur die Verhütung unmittelbarer Gefahr für Leben und Gesundheit der Teilnehmer (nicht dritter Personen) kann ein Verbot rechtfertigen. (Die teilweise interessanten einzelstaatlichen Ausführungsbestimmungen gerade dieser Bestimmung s. Kommentar Dr. Müller und Schmidt S. 38 ffl.)

6. Jeder Verein (politischer oder unpolitischer), dessen Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft, kann auch in Zukunft aufgelöst werden. Die Auflösungsverfügung kann aber im Wege

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/276&oldid=- (Version vom 1.8.2021)