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hat. Wenn aber die Koalitionsfreiheit der Arbeiter und Arbeitgeber dem Gewerberecht angehört, so kann dieses auch nicht umhin, die besonderen wirtschaftlichen Gefahren ins Auge zu fassen, die dem Zusammenschluss von Betrieben zu Kartellen und vollends zu monopolistischen Trusts anhaften mögen. – Die Vorstellungen von den Gefahren politischer Vereine und Versammlungen knüpften sich ehemals hauptsächlich an die Tätigkeit der Klubs in der französischen Revolution. In der Restaurationszeit nach 1815, wie in derjenigen nach 1848, wurden die Prinzipien des Polizeistaats gerade in dieser Sphäre wieder mächtig. Mit dem Erstarken der politischen Freiheit, insbesondere durch Verallgemeinerung des parlamentarischen Wahlrechts, haben aber jene Prinzipien wiederum nachgeben müssen.

Vgl. in diesem Abschnitt „Vereins- und Versammlungsrecht“.

B. Politische Freiheit bedeutet:

1. In bezug auf die gesetzgebende Gewalt des Staates entweder unmittelbare Mitentscheidung über die Rechtskraft von Gesetzen – wie im Referendum – oder das Recht, einen Volksvertreter als Mitgesetzgeber zu wählen. Vgl. hierüber sechstes Hauptstück.

2. In bezug auf die richterliche Tätigkeit das Recht: 1. in der Strafgerichtsbarkeit als Geschworener oder als Schöffe zu fungieren; 2. in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten an der ordentlichen Gerichtsbarkeit mitzuwirken oder zu einer ausserordentlichen richterlichen Tätigkeit – z. B. zu Gewerbe- oder Kaufmannsgerichten – berufen zu werden. – Vgl. Abschnitt 23, 24.[1])

3. In bezug auf die Exekutive oder die administrative Gewalt 1. das Recht, die Beamten, denen diese anvertraut wird, zu wählen; 2. die Selbstverwaltung, als solche eine Freiheit der Gemeinden, kommunaler Verbände und Korporationen, woran aber der Staatsbürger unmittelbar oder durch Wahlrechte teilnimmt. – Vgl. Abschnitt 15.

Exkurs.

Der Liberalismus, als politische Willens und Gedankenrichtung, hat sich immer viel stärker für bürgerliche als für politische Freiheit interessiert; ja er hat seine Postulate lange auf jene allein bezogen. Gerade den unumschränkten und aufgeklärten Fürsten hielt er für berufen, Duldung zu üben und die Bekenntnisfreiheit, Gedankenfreiheit zu schützen; auch das durch und durch liberale volkswirtschaftliche System der Physiokraten wollte (nach Rodbertus’ Ausdruck) den „Freihandel im Absolutismus“. Die Bewegung, die zum konstitutionellen Staate hinstrebte, ging unabhängig von diesen Ideen ihren Weg. Sie hatte zwar eine gemeinsame Basis in der naturrechtlichen Lehre von der Volkssouveränität und von der Begründung des Staates durch Verträge; aber praktisch stärker war im 18. Jahrhundert ihre Verbindung mit den nur durch Usurpation der Monarchen verdeckten ständischen Verfassungen, daher die Beziehung auf das englische Muster, worin eine solche Verfassung sich erhalten und bedeutend entwickelt hatte. An diesem Enthusiasmus für politische Freiheit nahmen daher auch die alten herrschenden Stände, Klerus und Adel, soweit sie nicht durch die Höfe zermürbt waren, lebhaften Anteil. Und der bürgerliche Liberalismus verlangte zunächst nichts, als Gleichstellung des Bauern- und Bürgerstandes, der in der geldbesitzenden Schicht seine natürlichen Führer anerkannte, mit den alten Ständen, wenn auch von da ein kurzer


  1. Bemerkenswert ist, dass Tocqueville, der ein scharfes Auge für die Zusammenhänge von bürgerlicher und politischer Freiheit hatte, die Ansicht ausgesprochen hat, die auf Kriminalfälle eingeschränkte Jury sei in beständiger Gefahr; das Volk sehe sie nur aus der Ferne in einzelnen Fällen wirken, es betrachte sie wohl als ein Mittel guter Rechtspflege, aber nicht als das einzige. Sei sie aber einmal auch in die Zivil-Prozesse eingeführt worden, so trotze sie den Zeiten und allen menschlichen Anstrengungen. „Hätte man den Sitten der Engländer die Jury ebenso leicht wie ihren Gesetzen rauben können, so wäre sie unter den Tudors gänzlich unterlegen. Es ist also die Zivil-Jury, die in Wirklichkeit die Freiheiten Englands gerettet hat.“ De la démocratie II, 8, p. 212.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/266&oldid=- (Version vom 1.8.2021)