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Statistik für die Ausgestaltung der Politik in der Lebensentfaltung der Gemeinwesen zu untersuchen. Unter diesem Gesichtspunkte erscheint die Statistik als politischer Aufklärungsdienst soweit solcher in der erschöpfenden in Zahl und Mass durchgeführten Beobachtung sozialer Massen besteht. Die Kontrolle der Angemessenheit überkommener politischer Auffassung, Strebensrichtung und Betätigung wie nicht minder auch die befriedigende Ausgestaltung neuer Auffassung, Strebensrichtung und Betätigung solcher Art erheischt Tatsachenerkenntnis der mannigfaltigsten Art als Grundlage der politischen Aktion. Die Orientierung über die Grundlagen der auswärtigen Politik bedingt mannigfaltige Feststellungen über auswärtige Verhältnisse, insbesondere über die Staats- und Wehrkraft sowie die wirtschaftliche Macht der verschiedenen Staaten des Auslandes. Bewirkt wird solche Orientierung teils durch die zu diesem Zweck geschaffenen besonderen Organe des diplomatischen und Konsulardienstes teils auf anderen Wegen, unter denen die sorgsame Nutzbarmachung alles erreichbaren statistischen Materials für jene Staaten des Auslandes von erheblicher Bedeutung ist. Ausserdem aber ergibt sich für die Orientierung über die innere Politik eine reiche Fülle mannigfaltiger Information, so vor allem durch die Berichterstattung der verschiedenen Verwaltungsbehörden, insbesondere jener, die Chefs in Vertrauensstellung haben, gegebenenfalls mittelst Durchführung besonderer Enqueten und mittelst der fortlaufenden Nachrichtensammlung, insbesondere unter Nutzbarmachung des darüber von der Presse dargebotenen Materials und der sorgsamen Sammlung und Verwertung, den in Partei-, Vereins- und Interessenten-Zusammenschlüssen ersichtlichen Entwicklungstendenzen.

Eine eigenartige Organisation und besondere technische Ausgestaltung findet dieser Aufklärungsdienst in der Verwaltungsstatistik. Ist es im allgemeinen die Aufgabe aller Statistik, die in Zahl und Mass durchgeführte exakte Beobachtung aller einzelnen Elemente sozialer Massen zu bewirken, so handelt es sich um Verwaltungsstatistik im besonderen dann, wenn die öffentliche Gewalt (des Staats, der Gemeinde oder des Zweckverbands) es unternimmt, eine derartige Massenbeobachtung zur Durchführung zu bringen. Da das Gelingen solcher Beobachtungen, insbesondere mit dem Charakter einer alle einzelnen Elemente der sozialen Massen erfassenden Feststellung auf blosse Zumutungen eines wissbegierigen Privaten wohl nur in vereinzelten Fällen möglich ist, wird es begreiflich, dass alle grossen und durchgreifenden statistischen Ermittlungen als verwaltungsstatistische Massnahmen sich darstellen.

Die sozialen Massen, deren eigenartige Beobachtung Aufgabe der Statistik ist, kann man in drei Hauptgruppen zerlegen. An erster Stelle sind zu verzeichnen die Menschenmassen selbst, in ihrem Bestand, in ihrer morphologischen Ausgestaltung und in ihren durch die Besiedelungsweise bedingten Beziehungen zum Boden. An zweiter Stelle sind anzuführen die Erscheinungsmassen aller Art, d. h. Massen der fortlaufend als Funktionen der Zeit in der menschlichen Gesellschaft eintretenden Vorgänge, die quantitativ oder qualitativ den Bestand der Menschenmassen beeinflussen, indem sie sich an diesen mit Bestandsveränderung oder innerhalb quantitativ unveränderter Bestandsmassen der Menschen als die Individuen qualitativ verändert kennzeichnend vollziehen. Diese Erscheinungsmassen sind Massen entweder aktiver oder passiver Sozialerscheinungen. Erscheinungsmassen aktiven Charakters sind die Handlungsmassen, d. h. solche, die auf Entschlüsse der Beteiligten und daraus hervorgehende Handlungen – und zwar unabhängig von dem Grad der dabei für sie waltenden tatsächlichen Freiheit des Entschlusses – zurückzuführen sind. Ereignismassen sind solche, die unabhängig von Entschlüssen der von diesen Ereignissen Betroffenen am oder im Menschenbestand sich vollziehen. An dritter Stelle sind sodann noch zu nennen die Massen von verselbständigten äusseren Folgewirkungen (Effekten) menschlicher Handlungen und Ereignisse des fortlaufenden mehr oder minder dauerbare Gebilde schaffenden Kristallisationsprozesses der Kultur, ersichtlich und erfassbar namentlich in der Ausstattung der Gesellschaft mit Gütermassen aller Art, und dazu weiter auch mit den in äussere zähl- und messbare Zustände und Erscheinungen gekleideten Errungenschaften des kulturellen gesellschaftlichen Lebens (z. B. religiöse, politische, wissenschaftliche, künstlerische humanitäre Gebilde solcher Art).

Alle diese sozialen Massen bieten sich der erschöpfenden in Zahl und Mass bewirkten Erfassung der Statistik entweder als gleichzeitig in einem Augenblicksbestand vereinigte Elemente der konkreten Masse dar, wie z. B. der Bestand an gleichzeitig lebenden und in einem gegebenen

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/255&oldid=- (Version vom 31.7.2021)