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Voraussetzungen zugänglichen politischen Rechte befinden. Der Unterschied zwischen Aristokratie und Demokratie liegt somit auf der Hand: Während die Aristokratie bestimmte Kategorien der Bevölkerung auf Grund des Vorhandenseins irgend welcher persönlicher Eigenschaften – mögen diese nun tatsächlich eine besondere Qualifikation zur Teilnahme an der Regierung bedeuten oder nicht – bevorzugt und unter Ausschluss der übrigen Bevölkerungsklassen zur Regierung beruft, geht die Demokratie von dem Prinzipe der Volkssouveränität und zugleich von dem Gedanken der absoluten politischen Gleichwertigkeit aller Staatsbürger[1] aus. Hierbei sind allerdings in bezug auf die Abgrenzung des Begriffes „Staatsbürger“ grosse Verschiedenheiten möglich. Gewisse Kreise der Staatsbevölkerung sind nach der Natur der Sache von dem Besitze oder doch von der Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte und damit von der Teilnahme an der Herrschaft ausgeschlossen, hieher gehören namentlich die Kinder, dagegen nicht, wie noch von einzelnen Schriftstellern behauptet wird,[2] die Frauen. Anderen Bestandteilen der Bevölkerung wird unmittelbar durch Gesetz der Zugang zur Herrschaft versagt; so in der antiken Demokratie den Sklaven, in der modernen Demokratie zuweilen den Angehörigen bestimmter Rassen oder Bekenntnisse. Im letzteren Fall wird das demokratische Prinzip der Gleichberechtigung aller Staatsangehörigen wohl mitunter dadurch formell gewahrt, dass die vorgenannten Personenkategorien überhaupt nicht zu dem Kreise der Staatsangehörigen gerechnet werden.

Selbstverständlich deckt sich die Zahl der zur Herrschaft berufenen Personen nicht schlechthin mit der Zahl der in Wahrheit herrschenden. Wenngleich in der Demokratie die Herrschaft dem Namen nach von der Gesamtheit aller Staatsbürger geführt wird, ist es doch in Wirklichkeit nicht die Gesamtheit, sondern nur die Mehrheit der Staatsbürger, deren Willen rechtlich und tatsächlich den Staat leitet.[3] Die Mehrheit? Auch das ist nur bedingt richtig: Sobald sich innerhalb eines demokratisch regierten Staates mehr als zwei Parteien gegenüberstehen, ist es nicht mehr die absolute Mehrheit, sondern die relative Mehrheit, also unter Umständen eine weit unter der Hälfte der Gesamtzahl der Staatsbürger bleibende Zahl von Köpfen, deren Willen als Staatswillen erscheint.

Alle diese Momente führen in praxi zu einer starken Einschränkung der theoretischen Behauptung, dass es in der Demokratie die Gesamtheit des Volkes sei, der die Herrschaft zustehe. Gleichwohl ist daran festzuhalten, dass überall da die demokratische Herrschaftsform besteht, wo jeder Staatsangehörige unter den gleichen Voraussetzungen zur Mitwirkung bei der Bildung des Staatswillens berufen ist. – Innerhalb des Gesamtbegriffes der Demokratie werden eine Reihe von Unterformen unterschieden, von denen besonders die folgenden hervorzuheben sind.

α) Die unmittelbare Demokratie.[4]

Eine solche liegt da vor, wo die Staatsgewalt unmittelbar von der Gesamtheit der zur Herrschaft berufenen Staatsbürger gehandhabt wird. In der Regel tritt die Gesamtheit der Staatsbürger zur Ausübung ihrer Herrschaftsbefugnisse zur Volksversammlung zusammen, die dann formell als Träger der Staatsgewalt erscheint. Indessen kann der Gesamtwille des Volks selbstverständlich auch in anderer Weise als durch die persönliche Stimmabgabe in der Volksversammlung festgestellt werden. In neuerer Zeit geschieht dies namentlich durch das sog. Referendum, d. i. eine auf Begehren einer bestimmten Anzahl von Staatsbürgern (sog. Volksinitiative) vorzunehmende schriftliche Volksabstimmung über Erlass, Abänderung oder Aufhebung von Gesetzen etc. Der Natur der Sache nach eignet sich die umständliche Vornahme einer Volksabstimmung nur für kleine Verhältnisse und auch


  1. Jellinek. S. 706 (721), spricht von Gleichwertigkeit der „Individuen“.
  2. S. z. B. Seydel, Vorträge, S. 18.
  3. Vgl. hierüber namentlich Seydel, S. 19.
  4. Vgl. Jellinek, S. 707 f. (725 ff.), Seydel, Vorträge, S. 20 f., Seydel, „Aus dem Staatsrechte der Demokratie“, Staatsrechtliche und politische Abhandlungen, 1893, Abhandlungen, S. 26 ff.
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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/168&oldid=- (Version vom 25.7.2021)