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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

Prüfung der staatlichen Rechnungsnachweisungen, in dem Rechte zur Entgegennahme, Prüfung und Weitergabe von Petitionen an die Regierung, in der Vorbringung von Wünschen, Vorstellungen und Beschwerden bei dem Landesherrn, in dem Interpellationsrecht und in der Inanspruchnahme der Ministerverantwortlichkeit .

γγ) Die parlamentarische Monarchie.

Man kann mit Fug und Recht darüber zweifelhaft sein, ob es möglich ist, die parlamentarische Monarchie streng juristisch zu erfassen. Gleichwohl soll versucht werden, ihre Darstellung wenigstens äusserlich von der der konstitutionellen Monarchie zu trennen und die Momente hervorzuheben, welche zu einer brauchbaren Unterscheidung zu führen scheinen.

Was die parlamentarische Monarchie mit der konstitutionellen Monarchie und überhaupt mit jeder Einherrschaft gemein hat, ist das Vorhandensein eines Staatsoberhauptes, dessen Wille als der rechtlich höchste im Staate gilt und von keinem anderen Willen abgeleitet ist.[1] Solange es von rechtswegen der Wille des Staatsoberhauptes ist, der den Staat, d. h. die übrigen Staatsorgane, in Tätigkeit setzt und erhält, der das Kabinett und die Beamten ernennt und absetzt, und ihre Funktionen bestimmt, der die Gesetzgebungsmaschine in Gang bringt oder still stehen lässt – solange ein Staatsoberhaupt da ist, das alle diese Fähigkeiten in sich allein vereinigt und das jeder Veränderung dieser verfassungsmässigen Ordnung des Staates sein absolutes Veto entgegensetzen kann,[2] – so lange ist die monarchische Herrschaftsform gewahrt. Das, was die parlamentarische Monarchie von der konstitutionellen Monarchie unterscheidet, ist also nicht eine grundsätzliche Verschiedenheit in der rechtlichen Stellung des Monarchen, sondern eine grundsätzliche Verschiedenheit in bezug auf die tatsächliche Machtstellung des Parlaments: Ueberall, wo das Parlament einen so starken Einfluss auf den Monarchen besitzt und ausübt, dass trotz der grundsätzlichen Wahrung der vorgenannten rechtlichen Befugnisse des Monarchen das Schwergewicht der Staatsgewalt nicht bei ihm, sondern beim Parlamente ruht, besteht in Wahrheit das Regierungssystem der parlamentarischen Monarchie. Der englische Parlamentarismus, der mit Recht als der Prototyp des monarchischen Parlamentarismus überhaupt angesehen wird, fordert nicht mehr und nicht weniger als „eine Regierung des Volkshauses der Legislative durch einen Ausschuss des Parlaments im Namen des Monarchen“.[3] Gegenüber dieser Forderung erhebt sich natürlich sofort die Frage: „Wie lässt sich eine solche Parlamentsregierung mit dem Wesen der Monarchie vereinigen?“ Die Antwort gibt uns die Praxis des englischen Parlamentarismus: In England hat sich in langer geschichtlicher Entwicklung, seit der Revolution von 1688,[4] die ungeschriebene Regel herausgebildet, dass das Kabinett des Königs durchweg aus Mitgliedern der beiden Häuser des Parlaments bestehen muss, welche auf demselben politischen Standpunkt wie die Majorität des Unterhauses stehen. Jeder Wechsel der Majorität des Unterhauses hat also notwendigerweise einen Wechsel des Kabinetts zur Folge, wobei dem König hinsichtlich der Auswahl der in das Kabinett zu berufenden Personen naturgemäss recht enge Grenzen gesteckt sind. Immerhin ist es der König, der die Kabinettsmitglieder ernennt und in dessen Auftrag die Minister tätig werden. Die reale Grundlage der machtvollen Stellung des englischen Kabinetts ist die Übereinstimmung seines (des Kabinetts) Willens mit dem Parlamentswillen – die rechtliche Grundlage seiner Stellung aber ist die Berufung durch den König. Und ebenso wie das Kabinett nur mit Erlaubnis des Königs seine Regierungstätigkeit entfalten kann, so ist auch das Parlament hinsichtlich des Beginnes, der Fortsetzung und der Beendigung seiner Funktionen von dem Willen des Königs abhängig. Obgleich es also Tatsache ist, dass der König von dem ihm zustehenden Vetorecht gegenüber


  1. Vgl. oben S. 137 und Jellinek, S. 653 (669).
  2. Bezüglich des letzterwähnten Punktes s. Jellinek, S. 668 (684); a. M. Bernatzik, S. 46 f.
  3. Vgl. hierher und zum Folgenden v. Holst, das Verfassungsrecht der Vereinigten Staaten von Amerika im Lichte des englischen Parlamentarismus, Freiburg 1887.
  4. S. aber auch Jellinek, S. 684, Anm. 2 (S. 702, Anm. 1).
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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/165&oldid=- (Version vom 25.7.2021)