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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

Den urkundlichen Ausgangspunkt für die Einführung des monarchisch-konstitutionellen Systems in Deutschland bilden der vielgenannte Artikel 13 der deutschen Bundesakte von 1815: „In allen Bundes-Staaten wird eine landesständische Verfassung stattfinden“ und der Artikel 57 der Wiener Schlussakte, der folgendermassen lautet: „Da der deutsche Bund mit Ausnahme der freien Städte, aus souverainen Fürsten besteht, so muss, dem hierdurch gegebenen Grundbegriffe zufolge, die gesamte Staatsgewalt in dem Oberhaupte des Staats vereinigt bleiben, und der Souverain kann durch eine landesständische Verfassung nur in der Ausübung bestimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden werden.“[1] Der in diesen Bestimmungen zum Ausdruck gebrachte Grundsatz fand nahezu in allen deutschen Verfassungsurkunden Eingang, wobei die meisten Einzelstaaten sich beinahe wörtlich dem in Tit. 2 § 1 der bayrischen Verfassung gegebenen Vorbilde anschlossen: „Der König ist das Oberhaupt des Staates, vereiniget in sich alle Rechte der Staatsgewalt und übt sie unter den von ihm gegebenen in der gegenwärtigen Verfassungsurkunde festgesetzten Bestimmungen aus.“[2]

Der juristisch und politisch relevante Inhalt der in jenen Verfassungsbestimmungen aufgestellten Formulierung des monarchischen Konstitutionalismus liegt in dem Grundsatze, dass der Herrscher der originäre und praesumptive Träger aller in der Staatsgewalt enthaltenen Befugnisse ist, dass er aber bei der Ausübung dieser Befugnisse an die Befolgung der, jeder einseitigen Abänderung entzogenen, Verfassungsurkunde gebunden ist. Aus dieser Bindung des Monarchen an die Konstitution – mag die letztere nun oktroyiert oder mit den Vertretern des Volkes vereinbart sein – ergeben sich eine grosse Zahl sehr wichtiger Beschränkungen der landesherrlichen Machtvollkommenheit auf allen Gebieten der Staatstätigkeit. Die grösste Beschränkung liegt darin, dass der Landesherr eine Reihe der bedeutsamsten Staatsakte nicht mehr allein und selbständig, sondern nur unter der gesetzlich geregelten Mitwirkung bestimmter anderer Staatsorgane rechtswirksam vornehmen kann. Diese Organe sind: die Volksvertretung, die verantwortlichen Minister und die übrigen Staatsbehörden. Der Zustimmung der Volksvertretung bedarf der Herrscher namentlich auf dem Gebiete der Gesetzgebung (im Sinne der Schaffung von Rechtssätzen) vorbehaltlich bestimmter, ihm ausdrücklich belassener Rechtsverordnungsbefugnisse, ferner auf dem Gebiete der Verwaltung, insoweit bestimmte Verwaltungsakte (wie z. B. regelmässig die Etatsaufstellung) ausdrücklich an die Zustimmung der Volksvertretung gebunden sind.[3] – Die Mitwirkung der Minister, bezw. des zuständigen Ressortministers, ist schlechthin für alle Regierungshandlungen des Monarchen erforderlich, gleichgültig auf welchen Gebieten dieselben gelegen sein mögen; eine Ausnahme gilt in der Regel nur für die Massnahmen der Kommandogewalt.[4] Die ministerielle Mitwirkung, an welche sich die Folge der Verantwortlichkeit des zuständigen Ressortministers oder des Ministerpräsidenten gegenüber der Volksvertretung knüpft, ist regelmässig in die Form der Gegenzeichnung gekleidet. Sie kann sich aber mitunter auch in einem mehr oder minder passiven Verhalten des zuständigen Ministers äussern, indem sich der betreffende Minister bei etwaigen, in sein Ressort einschlägigen Handlungen der Krone einfach schweigend verhält und somit stillschweigend die


  1. Vgl. Klüber, Quellen-Sammlung zu dem öffentlichen Recht des Teutschen Bundes, 1830, und bezüglich der Entstehung und Bedeutung dieser Bestimmungen namentlich von Aegidi, Die Schluss-Akte der Wiener Ministerial-Konferenzen etc., 1860; Ilse, Protokolle der deutschen Ministerial-Konferenzen etc., 1860; von Weech, Korrespondenzen und Aktenstücke z. Geschichte der Ministerkonferenzen etc., 1865.
  2. Vgl. z. B. die Verfassungsurkunden von Württemberg (§ 4), Baden (§ 5), Hessen (Art. 4), Kgr. Sachsen (§ 4), Sachsen-Coburg (§ 3). – Das Fehlen dieser Bestimmung in der preuss. Verf. Urk. erklärt sich nach Hintze, S. 394, daraus, dass man den Anschein vermeiden wollte, als beruhe die Stellung des Monarchen irgendwie auf der Verfassung.
  3. Letzteres geschieht zumeist dadurch, dass für die betreffenden Verwaltungsakte „die Form des Gesetzes“ vorgeschrieben wird.
  4. Vgl. Hintze, S. 399 f.; bezüglich der ministeriellen Verantwortlichkeit b. besonders S. 407.
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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/163&oldid=- (Version vom 24.7.2021)