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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, an dieser Stelle eine, wenn auch noch so gedrängte geschichtliche Übersicht über die ständig wechselnden, bald sich berührenden, bald sich durchschneidenden, bald gänzlich von einander abweichenden juristischen, politischen, ethischen und sonstigen Einteilungsmethoden zu geben.[1] Wir müssen uns damit begnügen, an der Hand einer ganz kurzen Betrachtung der ältesten, uns ihrer Organisation nach bekannten Staatswesen die ursprünglichsten Formen der staatlichen Herrschaft nachzuweisen und sodann mit wenigen Sätzen den Weg festzustellen, der uns zu der von uns als richtig erkannten Unterscheidungsmethode führt.

II. Die älteste bisher bekannte Staatsform ist die der Einherrschaft. Das Volk der Ägypter, das wir durch fünf Jahrtausende hindurch verfolgen können, zeigt uns bei allen Umwälzungen, die es seit seinem Eintritt in die Geschichte erfahren hat, stets das gleiche Bild der monarchischen Verfassung. War den alten Aegyptern auch die Idee des Staates, wie sie sich später auf dem Boden Griechenlands und Roms für alle Zukunft vorbildlich entwickeln sollte, noch fremd, so besassen sie doch schon eine bis ins einzelne durchgebildete staatliche Organisation mit einem unumschränkt herrschenden König an der Spitze.[2] Der König ist der Halbgott, der hoch über allen anderen Lebenden thront; er ist der Eigentümer des ganzen Landes und sämtlicher Untertanen, ihm werden die Steuern gezahlt, zu seinem Ruhme werden die Kriege geführt, ihm zu Ehren werden die grossen Bauten unternommen.[3] Freilich war seine Macht tatsächlich nicht immer so unbeschränkt wie in der Theorie ; das Gewicht der Beamtenhierarchie, der Heerführer und der Priester und nicht zuletzt der wachsende Einfluss der aus ursprünglichen Beamten des Königs zu immer grösserer Selbständigkeit emporsteigenden Gaufürsten (Nomarchen) schwächten die Machtvollkommenheit des Königs in sehr erheblichem Masse.[4]

Auch in Griechenland ist das Königtum schon sehr frühzeitig verbreitet, jedoch zeigt es hier einen durchaus anderen Charakter als im Orient. Im Gegensatz zu den asiatischen Königen mit ihrer autokratischen Machtfülle ist der König der griechischen Staaten ein Beamter mit bestimmt umschriebenen, bald militärischen, bald sakralen Amtspflichten. Nicht immer ist er Monarch und nicht immer ist sein Amt erblich: Bald ist es ein Einzelner, bald sind es zwei oder auch mehrere, denen das Königsamt zusteht; bald ist der König auf Lebenszeit, bald nur auf bestimmte Zeit bestellt; bald muss er einem bestimmten Geschlechte angehören, bald kann er aus dem Volke schlechthin hervorgehen. Niemals hat er die Eigenschaft eines patriarchalischen Souveräns. Die Souveränität wohnt beim Volke, bei der Gesamtheit der vollberechtigten Bürger.[5]

Auf welche Weise sich in den griechischen Staaten der Uebergang vom Königtum zu anderen Herrschaftsformen vollzog, lässt sich in Wirklichkeit nicht so genau feststellen, als man nach der zwar auf einem reichen Beobachtungsmateriale beruhenden, aber gleichwohl nicht konkret zu nehmenden Darstellung des Platon und des Aristoteles glauben möchte. Auch für Athen ist die oft behauptete, „schön geradlinige“ Entwicklung nicht nachweisbar, wonach es von dem patriarchalischen Königtum zur Aristokratie, von ihr zur Tyrannis und von dieser zur Demokratie ging. Die staatliche und gesellschaftliche Verfassung Athens ist erst für die Zeit nach dem Sturze der Peisistratiden historisch mit einiger Zuverlässigkeit nachweisbar; „wie es . . in den übrigen griechischen Staaten aussah, davon haben wir nur hie und da einen Schimmer.“[6] Seit jener Zeit bis auf Augustus haben sich in der athenischen Verfassung trotz mancher Unterbrechungen und Aenderungen nachweislich die demokratischen Prinzipien behauptet – die gleichen Prinzipien, die teils in unmittelbarer


  1. S. die exemplifikative Aufzählung und die Literaturnachweise bei Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 2. A., 190.5, S. 646; 3. A., S. 262.
  2. Vgl. hierher u. zum Folgenden Erman, Aegypten und aegyptisches Leben im Altertum (1896) S. 84 ff.
  3. Erman, S. 84.
  4. Erman, S. 134.
  5. Vgl. von Wilamowitz-Moellendorff, Staat und Gesellschaft der Griechen, bes. S. 53 ff., (in „Die Kultur der Gegenwart“, Teil II, Abt. IV, 1; 1910).
  6. von Wilamowitz, S. 30 f.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/153&oldid=- (Version vom 20.7.2021)