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und ein Interesse an seinem Leben und Wirken voraussetzt,[1] jene Tätigkeit der Bürger, in der die alten Hellenen die Freiheit erblickten.[2]

So gilt also nach heutigem Recht für die Fremden das Territorialprinzip; wer fremdes Staatsgebiet betritt, unterwirft sich mit dieser Tatsache den Gesetzen des Aufenthaltsstaates, nach denen seine Handlungen beurteilt, seine Rechte und Pflichten bemessen werden. Auf verschiedenen Wegen, verschieden rasch ist der Fremde von der ehemaligen absoluten Rechtlosigkeit bis zu nahezu vollständiger Gleichberechtigung fortgeschritten. Zahlreiche Gesetze und Verträge regeln heute seine Rechtsstellung, wozu Praxis und Gewohnheitsrecht ergänzend hinzutreten. Der Prozess scheint aber noch keineswegs abgeschlossen zu sein und manche Frage bedarf noch der Klärung. Von einem gänzlichen Schwinden der staatlichen Grenzen, von einer vollständigen Gleichstellung der In- und Ausländer sind wir aber weit entfernt[3] und werden dies auch − ich glaube zum Wohl der Menschheit − nicht so bald erreichen. Schon das Nationalbewusstsein sträubt sich gegen das allgemeine Weltbürgertum.




 


  1. Von dem Prinzip, dass die Staatsangehörigkeit Voraussetzung für die Ausübung politischer Rechte sei, gelten Ausnahmen zunächst in einzelnen Bundesstaaten für Bundesangehörige, z. B. in der Schweiz (Bundesverf. Art. 43 al. 4 und 5). In deutschen Staaten sind Ausnahmen partikularrechtlich nur vereinzelt vorhanden (z. B. Baden, Gemeindeordnung §§ 9a, 12. Städteordnung §§ 7a, 12, 13). Während in diesen beiden Bundesstaaten Bundes-Ausländer prinzipiell von politischen Rechten ausgeschlossen sind, hat die nordamerikanische Union die Regelung der Frage den Einzelstaaten überlassen und viele derselben haben auch Nicht-Amerikanern politische Rechte zugesprochen. In anderen Staaten sind solche Fälle ausserordentlich selten und immer von untergeordneter Bedeutung.
  2. Eine schwierige Frage, die nicht einheitlich zu beantworten ist, ist die nach der Geltung der sogenannten Freiheitsrechte für Fremde. Sie lässt sich nur auf Grund der einzelnen Staatsverfassungen beantworten. Seit der französischen Charte von 1814 statuieren die Verfassungen meist „Rechte der Staatsangehörigen“, nicht „Menschenrechte“. Vergl. darüber Demangeat, Histoire de la constitution civile des étrangers en France. Weiss, Traité théorique et pratique du droit international prive II. S. 84 ff. Fuzier-Herman, Repertoire générale du droit français XXI. S. 108 f., 113. v. Roenne-Zorn, Das Staatsrecht der preussischen Monarchie II. S. 150 f. v. Frisch, Fremdenrecht, Kap. VIII, IX, X.
  3. Die im letzten Jahrhundert erfolgte schärfere Ausprägung und allgemeine Anerkennung einzelner moderner Rechtssätze wie z. B. der Regel von der Nicht-Auslieferung und Nicht-Ausweisung der eigenen Staatsangehörigen spricht dafür, dass die auf Gleichstellung abzielende Bewegung ins Stocken geraten ist. Auch einzelne Staatsangehörigkeitsgesetze suchen die Grenzen zwischen In- und Ausländern wieder schärfer zu ziehen.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/149&oldid=- (Version vom 1.8.2018)