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sein kann: die Spaltung der Gesellschaft in Besitzende und „freie Arbeiter“. Und so wird hier das Kapital „sekundäres Gewalteigentum“.

In der Sprache der Ökonomik: wo aller Boden okkupiert ist, besteht zwischen Ober- und Unterklasse ein „Klassen-Monopol-Verhältnis“. Die Oberklasse als Gesamtheit ist Eigentümerin der für die Unterklasse unentbehrlichen Produktionsmittel; unter solchen Umständen ist der Monopolist in der Lage, einen „Monopolgewinn“ zu machen. Darüber sind sich alle Schulen einig; nur hat die alte Theoretik jenes Monopol, das sie durch ursprüngliche Akkumulation entstanden glaubte, als „natürliches“ betrachtet, während es in der Tat, wie die Ziffern zeigen, ein „rechtliches“, „künstliches“ ist. Und so enthüllt sich uns alles Grosseigentum an den Produktionsmitteln als „Gewalteigentum“, d. h. als politisches Mittel der Oberklasse zur Aneignung des Klassen-Monopolgewinns, des von Marx sog. „Mehrwertes“, der „Herrenrente“ nach Rodbertus, d. h. der Grundrente samt dem Kapitalprofit.

Danach lässt sich der historische Staat nach Form und Inhalt folgendermassen definieren: der Form nach ist er eine von einer siegreichen Gruppe einer unterworfenen Gruppe auferlegte Rechtsinstitution. Sein Inhalt ist die „Bewirtschaftung“ der Untergruppe durch die Obergruppe nach dem Prinzip des kleinsten (politischen) Mittels, d. h. die auf möglichste Dauer berechnete unentgoltene Aneignung eines möglichst grossen Anteils ihres Arbeitsertrages bei möglichst geringem eigenen Aufwand.

Das Objekt dieser „Staatswirtschaft“ ist also das mobile und immobile Eigentum der Unterklasse und ihre Arbeitsenergie als Quelle zukünftig zu beschaffender Wertdinge. Und, wie bei aller Wirtschaft, ist auch hier zwischen Beschaffung und Verwaltung zu unterscheiden. Die Beschaffung geschieht durch äussere oder geistliche Gewalt oder durch beide zusammen; die Verwaltung geschieht durch das Recht: das durch die Gewalt gesetzte private Eigentum wird im bürgerlichen Rechte sanktioniert, und das so entstandene Klassenverhältnis im Staatsrechte (Verfassung) gewährleistet und durch die Staatsverwaltung mittels Justiz und Heeresmacht gegen Umsturzgelüste geschützt. Einen anderen Inhalt hat das Staatsleben im Anfang nicht. Der Staat ist seiner Entstehung und seiner ratio essendi nach ursprünglich nichts anderes als die auf die Dauer berechnete Organisation des Gewalteigentums, d. h. des im Recht fixierten politischen Mittels, er ist nichts anderes als das entfaltete politische Mittel. Später nimmt freilich der Staat andere Bestandteile auf. Davon weiter unten.

I. Die „Beschaffung“ der Unterklasse.

Im folgenden sehen wir von der seltenen und unwichtigeren Entstehung des Staates durch geistliche Gewalt ab. Bei seiner Entstehung bilden das Objekt, die spätere Unterklasse, fast immer sesshafte Ackerergruppen (meist Hackbauern); das Subjekt, die spätere Oberklasse, der Adel, sind in der alten Welt fast ausnahmslos Hirtennomaden, in der neuen Welt Jägerstämme. Die Beschaffung des Objektes der Staatswirtschaft vollzieht sich in sechs wohlcharakterisierten Stadien, von denen im Einzelfalle einige übersprungen werden können. Jedes spätere Stadium erwächst aus dem früheren darum, weil es ein „kleineres Mittel“ als jenes darstellt: 1. Grenzraubkrieg. 2. „Imkerstadium“: die Sieger holen den Tribut bei den Unterworfenen ab, lassen ihnen aber die Lebensnotdurft. 3. Tributstadium: die Besiegten senden den Tribut an die Sieger. 4. Mechanische Mischung: die Sieger hausen zwischen den Besiegten, beziehen den Tribut, kümmern sich aber nicht um ihre Wirtschaft und Verwaltung. 5. Residenten-Stadium: die Sieger halten an jedem Ort der Selbstverwaltung einen Vertreter zum Zwecke der Mit- oder Ober-Regierung. 6. Vollausgebildeter Staat.

II. Die „Verwaltung“ der Unterklasse.

Das so „beschaffte“ Objekt der Staatswirtschaft wird nun nach dem Prinzip des kleinsten Mittels mit der Absicht „verwaltet“, d. h. vor Verlust und Verderb bewahrt, den grössten dauernden Erfolg der Bedürfnisbefriedigung der Oberklasse zu erzielen. Zu dem Zwecke muss schon vom zweiten, dem Imkerstadium, an die Oberklasse den Grenzschutz gegen andere Raubstämme übernehmen. Später, und zwar spätestens vom fünften, dem Residentenstadium, an tritt als mindestens

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/137&oldid=- (Version vom 18.7.2021)