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Kaum waren aber die Flugblätter wieder in unseren Händen, als sie auch schon bis auf das letzte Stück verbreitet wurden. Der Inhalt paßte so recht auf die augenblicklichen Verhandlungen des Reichstags, über das Sozialistengesetz, er schilderte treffend den wahren Grund der Sozialistenhetze.

Am nächsten Vormittag erschien in meiner Wohnung ein Herr in Begleitung von zwei anderen und eröffnete mir, daß die Kgl. Staatsanwaltschaft das Flugblatt abermals mit Beschlag belegt habe und daß er beauftragt sei, noch vorhandene Exemplare zu konfiszieren.

Mit tiefstem Bedauern teilte ich ihm mit, daß auch nicht ein Stück mehr vorhanden, sondern alle verbreitet seien.

Nachdem ich den Eröffnungsbeschluß unterzeichnet hatte, zogen die Herren mit leeren Händen wieder ab.

Kegelmaier aber erhielt für sein gesetzliches Handeln, bezüglich der Freigabe der Blätter, eine gehörige Nase, um die ich ihn keineswegs beneidete.

Acht Tage später trat das Schandgesetz, das Sozialistengesetz, in Kraft und am andern Tag schon wurde die hiesige Parteimitgliedschaft sozialistengesetzlich aufgelöst und das Vermögen konfisziert. Zu konfiszieren gab es hier so wenig wie bei den Flugblättern. Der Partei folgten die Gewerkschaften und unser Gesangverein auf dem Fuße. Auch hier mußte die hl. Hermandad mit leeren Händen abziehen.

Mit den Auflösungen begann die Aera der Haussuchungen. Da wir erklärten, keinerlei

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Gustav Kittler: Aus dem dritten württemb. Reichstags-Wahlkreis. Im Selbstverlag des Verfassers, Heilbronn 1910, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gustav_Kittler_Erinnerungen_1910.pdf/50&oldid=- (Version vom 1.8.2018)