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Es ist über die Zeit bis zu meiner Haftentlassung nur noch Weniges zu berichten. Die Tage vergingen einer wie der andere: Morgens bei Tagesbeginn Schlafen; dann mit kurzer Unterbrechung, wenn der Fax über mir erschien, Lesen bis zum Mittag; dann Nachmittagschlaf etwa eine Stunde, selten länger; hernach wieder Lesen bis zur Nacht und dann Promenieren und Rauchen bis zum Tagesgrauen.

Am Abend vor der Wahl war große Wählerversammlung in der damaligen einzigen städtischen „Turnhalle“ für den volksparteilichen Kandidaten, an deren Schluß ein dreifaches Hoch auf denselben ausgebracht wurde, das deutlich bis in meinen Käfig drang. In dieser Versammlung warf Isak alle Rücksichten bei Seite, bekannte sich öffentlich als Sozialdemokrat und verteidigte die Sozialdemokratie in kurzen Worten gegen die Lügen und Verleumdungen der Bismarckschen Preßmamelucken. Wenn auch seine Worte nicht fließend waren, so verfehlten sie doch den nötigen Eindruck nicht.

Da, am Wahltag in der Frühe, teilte mir unser Koch mit, daß ich diesen Vormittag entlassen werde. Ich soll meine Sachen packen und mich reisefertig machen.

Dies war bald geschehen. Um 10 Uhr wurde ich zum letztenmal während dieser Kampagne vorgeführt.

Der Untersuchungsrichter eröffnete mir, daß ich nun gegen Kaution entlassen würde und nahm zum Schein ein kleines Schlußprotokoll auf, bei welchem ich ihm deutlich meine Verachtung zu erkennen gab, was ihn veranlaßte, nochmals zu

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Gustav Kittler: Aus dem dritten württemb. Reichstags-Wahlkreis. Im Selbstverlag des Verfassers, Heilbronn 1910, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gustav_Kittler_Erinnerungen_1910.pdf/48&oldid=- (Version vom 1.8.2018)