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von der sogleich die Rede sein soll, historisch für mich in Anspruch nehmen muß –, es war also am 1. April, 4 Uhr 15 Minuten nachmittags, da durchblätterte ich in Überlegung eines geeigneten Themas für die heutige Gedächtnisrede auch den zweiten Akt von Schillers glutvollem Jugenddrama „Don Carlos“. Und da wurde mein Auge plötzlich auf eine Dialogstelle jenes zehnten Auftritts zwischen Domingo und Alba gelenkt, die ominöser Weise beginnt:

     Domingo
„Was wollen Sie mir sagen?
     Alba
 Eine wicht’ge
Entdeckung, die ich heut’ gemacht ..“

als ob der große Dichter hier schon prophetisch auf die Entdeckung hätte hinweisen wollen, die mich selbst in jener gesegneten Stunde beglücken sollte! Auf die Frage Albas, wer es auf sich zu nehmen habe, den König über die erotische Relation zwischen seiner Gemahlin und dem Infanten aufzuklären, läßt Schiller nämlich den Domingo erwidern:

Noch Sie, noch ich“ – –!

Ich sehe, meine Damen und Herrn: die Wucht dieser Enthüllung übt auf Sie zunächst ganz dieselbe fast schreckhaft lähmende Wirkung aus wie auf mich in jenem geschichtlichen Augenblick. Aber wie es mir geschah, sobald ich imstande war, mir über die außerordentliche Erscheinung klarer zu werden, so werden auch Sie, meine verehrten Damen und Herrn, an der Hand meiner Erläuterungen alles erschreckend Befremdliche von diesem Phänomen abfallen sehen, Sie werden überzeugt werden, daß es sich nicht etwa um einen

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Hanns von Gumppenberg: Das teutsche Dichterroß. Callwey Verlag, München 1929, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gumppenberg_Dichterross_0154.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)