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Die Kriegserklärung

Über Petersburg brütete die unerträgliche Glut der nordischen Julihitze; infolge der seit Wochen anhaltenden Dürre waren die Wälder und Torfmoore der Umgegend der Residenz in Brand geraten, und die Rauchwolken verhüllten schon seit Wochen die Sonne, die wie eine rotglühende Kupferscheibe am Himmel hing. Wenn der Abend nahte, und von der Newa ein kühler Hauch wehte, dann legte sich der bituminöse Rauch ganz besonders schwer auf die Lungen und man hatte zeitweilig Mühe zu atmen.

Wenn sonst um diese Jahreszeit „kein anständiger Mensch“ in der Residenz zu sein pflegt, sondern die Freuden des Landlebens auf den Gütern, in den Bädern, im Auslande oder schlechtweg auf der Datsche genießt, so war im Jahre 1914 Petersburg ungewöhnlich belebt. Am politischen Himmel waren schwere Wolken aufgestiegen, und man mußte jeden Augenblick gewärtig sein, daß ein Unwetter von unerhörter Gewalt losbrechen würde. Einmal mußte sich ja doch die angesammelte Elektrizität entladen.

In den Ressorts herrschte bis spät in die Nacht reges Leben. Wenn der Petersburger, der sich eine der sündigen „weißen“ Nächte um die Ohren geschlagen hatte, bei grauendem Morgen aus einem der Tingeltangel heimkehrte, um zu Hause in bleischweren und doch unruhigen Schlaf zu sinken, dann konnte er beobachten, daß in den Ministerien noch gearbeitet wurde, daß Kuriere und Feldjäger auf leichten Gefährten mit schweren Aktenmappen irgend wohin verschwanden, oder er sah wohl auch arbeitsmatte Beamte aus

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Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/9&oldid=- (Version vom 1.8.2018)