Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/62

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Besuch von Theatern und Konzerten, sowie auf den Ankauf von Büchern, oder gar auf das Abonnement einer gleichfalls zu erklecklicher Teuerung gediehenen Zeitung verzichten müssen, wieviele Kinder sind gezwungen gewesen, den Schulbesuch aufzugeben, weil man das Schulgeld und die teueren Lehrmittel nicht mehr aufzubringen vermochte!

Der gebildete Mittelstand, die Vertreter der sogenannten freien Berufe, die städtischen und zum Teil auch die Staatsbeamten, sowie die Angestellten privater Unternehmungen sind in dem ungeheueren Wechsel der Dinge, der sich während des Krieges vollzogen hat, der ruhende Pol, weil dem Gehalt die Anpassungsfähigkeit und Beweglichkeit des Arbeitslohnes abgeht. Das schreiende Mißverhältnis, das zwischen den starren Einnahmen und den um viele hunderte Prozent gestiegenen Ausgaben bestand, hat zu dem Hinabgleiten des Mittelstandes geführt, dem man nicht teilnahmlos zuschauen kann, denn es ist klar, der Mittelstand wird sich nach Friedensschluß in völlig veränderte Verhältnisse gestellt sehen, in eine Stellung zu den anderen Volkskreisen, die tief unter seinem früheren Niveau liegt.

Der Krieg hat den Mittelstand Rußlands an den Rand des wirtschaftlichen Verderbens gebracht und ihn auf Generationen hinaus wirtschaftlich geschwächt. Was das für das Land, in dem kulturelle Elemente so überaus dünn gesäet sind, obwohl gerade nach diesen ein schreiendes Bedürfnis besteht, bedeutet, braucht wohl nicht erst ausdrücklich hervorgehoben zu werden.

Man darf jedoch nicht verkennen, daß diese Zeit, die so großes Elend über uns gebracht hat, schließlich doch nicht ganz ohne Segen gewesen ist, — sie hat uns gelehrt, uns zu bescheiden, uns mit wenigem zu begnügen, zu erkennen, daß man nicht über seine Mittel hinaus zu leben braucht, um als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft angesehen zu werden. Der Krieg hat ferner unsere Jugend gelehrt, mit

Empfohlene Zitierweise:
Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/62&oldid=- (Version vom 1.8.2018)