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kolossalen Mißbräuche geäußert hätte, er hätte seinen Wagemut mit Verbannung büßen müssen. Sogar der Hof konnte sich der allgemeinen Hetze nicht entziehen, er mußte eine Anzahl von alten und bewährten Beamten und Dienern nur deshalb entlassen, weil sie Deutsche waren. Das Hofministerium nahm den Hoflieferantentitel allen deutschen Firmen, sogar auch solchen, deren Inhaber seit 35 Jahren zum russischen Untertanenverbande gehörten. Jede dieser Entlassungen und Maßregelungen wurde mit Genugtuung registriert. Kaiser Nikolai kam schließlich der Bewegung so weit entgegen, daß er den traurigen Mut hatte, die Schöpfung des Größten seines Geschlechts, Petersburg, in „Petrograd“ umzubenennen und sich damit für alle Zeiten als Miniatur-Herostrat lächerlich und verächtlich zu machen.

Als man mit den wehrpflichtigen Männern aufgeräumt, d. h. sie in die Verbannung geschickt hatte, da machte man sich an die Frauen und Knaben, die das 15. Lebensjahr erreicht hatten; auch sie wurden ausgewiesen, doch wäre es gar zu menschlich gewesen, wenn man sie mit ihren Männern und Vätern zusammengeführt hätte, man zerriß ganz systematisch Familien, indem man die einzelnen Mitglieder auseinandersprengte und die einzelnen Personen in Ortschaften internierte, die tausende Werst voneinander entfernt waren. Was das für die heranwachsende Jugend, die ohne Leitung und Schulunterricht blieb, bedeuten muß, ist unschwer zu ermessen.

Und das Schlimmste war, daß die Hilfe, die man anfänglich den Verbannten erweisen konnte, schon nach wenigen Monaten eingeschränkt werden mußte, denn jeder, der verbannten Reichsdeutschen Dienste in irgendeiner Form erwies, machte sich verdächtig. Wenn er abgefaßt wurde, dann blühte auch ihm das Schicksal der Verbannung, natürlich nach vorhergehender Haussuchung und hochnotpeinlichem Verhör durch die Gendarmerie, die in diesen Dingen einen flammenden Eifer entwickelte. Daß man nur zu leicht abgefaßt

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Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/38&oldid=- (Version vom 1.8.2018)