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um die Verhältnisse in der immer tiefer in den Zustand absoluter Anarchie geratenen Armee zu sanieren, zudem war man mit den Wahlen in die Stadtverordnetenversammlung beschäftigt, die die Aufmerksamkeit der Bevölkerung in hohem Maße fesselten, denn es sollte sich nun entscheiden, ob die Verwaltung Alt-Rigas restlos an das Proletariat, das jedes Maß für die Realitäten verloren hatte, geraten und damit als kulturelles Zentrum dem Untergange geweiht sein sollte, oder ob es der Ordnungspartei gelingen würde, sich wenigstens einen Bruchteil von Einfluß zu sichern. Die Wahlen ergaben, wie man weiß, ein nach Maßgabe der Verhältnisse günstiges Resultat, indem es der deutschen Partei, die bemerkenswert geschlossen an die Urnen ging, gelang, sich an 22 Sitze zu sichern, während die sozialistischen Gruppen, wie das nicht anders zu erwarten war, aus dem Kampfe mit der absoluten Majorität hervorgingen. Unter solchen Umständen ist es wohl verständlich, daß die kommunalen Interessen in den Vordergrund traten und man den Kriegsangelegenheiten zeitweilig nur beschränktes Interesse widmete.

Man hatte sich, wie gesagt, an die Warnungen und die Kriegsschreie nicht nur gewöhnt, sondern man war gegen sie allmählich völlig abgestumpft, denn einerseits wußte man, daß sie doch zu nichts führen würden, da der russischen Armee weder die Allokutionen des schaumschlagenden Schwätzers Kerenski, noch auch die Pronunziamentos des Petersburger Soldatenrates, sondern nur noch eine von einem eisernen Willen gelenkte eiserne und gnadenlose Faust helfen konnte, wenn ihr überhaupt noch zu helfen war.

Das Manöver mit der bedrohten Residenz war erheblich abgeschlissen und bei der Armee nichts weniger als zugkräftig. Hatte doch schon Gutschkow als Kriegsminister versucht, die aus dem Leim geratene Armee dadurch zusammenzuhalten, daß er den Teufel an die Tore der Residenz gemalt hatte. Seither spukte er noch immer in der Presse

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Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/128&oldid=- (Version vom 1.8.2018)