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55. Rumpelstilzchen. 1856 S. 94.

1812 nr. 55: von Dortchen Wild in Kassel am 10. März 1811. – 1819 erweitert nach drei andern im ganzen übereinstimmenden, im einzelnen ergänzenden Erzählungen aus Hessen (von Hassenpflugs und von Lisette Wild). In der einen ist der Schluß insoweit abweichend, daß die Königin keinen Boten aussendet, fremde Namen zu erkundigen, sondern der König kommt am dritten Tag von der Jagd und hat zufällig das Männlein behorcht und gehört, wie es sich selbst da genannt habe.

Eine fünfte Erzählung fängt folgendergestalt an: Einem kleinen Mädchen wird eine Kaute Flachs gegeben Garn zu spinnen, aber was es spann, war immer Goldgarn und kein Flachsgarn. Da ward es traurig, setzte sich aufs Dach, spann und spann, aber immer nichts als Gold. Da kam ein Männlein gegangen und sprach: ‘Ich will dir aus aller Not helfen, ein junger Königssohn soll vorbeikommen, dich mitnehmen und heiraten; aber du mußt mir dein erstes Kind versprechen.’ Hernach geht die Magd der Königin hinaus, sieht das Männlein auf einem Kochlöffel um das Feuer reiten und hört den Spruch. Als sich Rumpelstilzchen[1] verraten sieht, fliegt es auf dem Kochlöffel zum Fenster hinaus.

Noch ist eine sechste abweichende Erzählung aus Hessen (ebenfalls vor 1822 gehört) anzuführen, welche nichts von dem Spinnen sagt. Eine Frau geht vor einem Garten vorbei, worin schöne Kirschen hängen, bekommt ein Gelüsten, steigt ein und ißt davon; aber ein schwarzer Mann kommt aus der Erde, und sie muß ihm für den Raub ihr Kind versprechen (wie oben S. 98 nr. 12). Als es geboren ist, dringt er durch alle Wachen, die der Mann ausgestellt hat, und will der Frau nur dann das Kind lassen, wenn sie seinen Namen weiß. Nun geht der Mann nach, sieht, wie er in eine Höhle steigt, die von allen Seiten mit Kochlöffeln behangen ist, und hört, wie er sich Flederflitz nennt.

In einer siebenten hessischen Fassung, die Vilmar (Idiotikon von Kurhessen 1867 S. 295) um 1806 hörte, singt der Zwerg:


  1. Dieser Name kommt schon 1582 bei Fischart vor; im 25. Kapitel seiner Geschichtklitterung, wo die Spiele verzeichnet werden, (1891 S. 264) steht, ein Spiel ‘Rumpelestilt oder der Poppart’. J. Grimm, Myth. ³ S. 473.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 490. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_490.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)