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spanisch von Rico Franco (Wolf y Hofmann, Primavera 2, 119), portugiesisch von Dom Franco (Hardung 2, 61), slowenisch (Štrekelj 1, 207), serbisch Thomas (Talvj ² 2, 172), čechisch Indriasch (Waldau 2, 25. Erben S. 536. Sušil nr. 134. 141. 189), wendisch Holdrašk (Haupt-Schmaler 1, 323), polnisch Ligar (Kozłowski S. 54. Wisła 4, 393. 9, 645. Waldbrühl 1843 S. 425), ungarisch Martin (Aigner S. 170)[1] An die drei Schreie, die hier die Jungfrau vor ihrem Tode tun darf, erinnert die Szene auf dem Turm bei Perrault. Der Gehorsamsprobe mit dem verbotenen Zimmer dagegen, welche im Märchen den Mord begründen soll, ist ein neues, wenngleich bereits in indischen und arabischen Erzählungen, auch im Marienkind (nr. 3) vorkommendes Motiv.[2] Da nun in italienischen, griechischen und slavischen Versionen, wie wir sahen, dafür auch eine andere Probe vorkommt, nämlich das Gebot Menschenfleisch zu essen, so hat Kretschmer[3] den geistreichen Gedanken ausgesprochen, der dämonische Entführer der Jungfrau sei als der griechische Totengott aufzufassen, der sich mit den Leichen seiner Opfer sättige.[4] Die Tafel des Charos und seiner Gattin Charondissa ist nach einem neugriechischen Volksliede aus Ithaka (B. Schmidt 1877 S. 167) mit den Köpfen kleiner Kinder besetzt, als Messer und Gabel dienen ihnen die Hände Erwachsener. Aus der verbreiteten Metapher, ein früh dahingeschiedenes Mädchen


  1. Vgl. auch Pröhle, M. f. d. Jugend nr. 32 ‘Der Reiter in Seiden’, das englische Märchen ‘Jack Otter’ bei Addy nr. 8 und das rumänische im Siebenbürgischen Archiv 33, 621 nr. 112 ‘Der Fremde’.
  2. Vgl. oben S. 21. – Das unauslöschbare Blut kommt auch in den Gesta Romanorum nr. 13 vor: einer Mutter fallen vier Tropfen Blut ihres unschuldigen, von ihr gemordeten Kindes auf die Hand, welche nicht fortzubringen sind, sodaß sie ständig einen Handschuh trägt.
  3. Kretschmer, Das Märchen vom Blaubart (Mitt. der anthropolog. Ges. in Wien 31, 62–70. 1901). – Zum Antworten der Speisen vgl. R. Köhler 1, 314.
  4. Auf Polygnots Unterweltsbild zu Delphi verzehrte der Dämon Eurynomos das Fleisch der Leichen (Pausanias 10, 28, 7). Hades (Sophokles El. 542) und Hekate heißen σαρκοφάγος, ἀωροβόρος, αἱμοπότις; ein Grabepigramm bei Kaibel (Epigrammata Graeca nr. 647, 16) nennt den Toten ein grausiges Mahl für Charon. Auch die Teufel des christlichen Mittelalters und des 16. Jahrh. schleppen die ihnen verfallenen Menschen in die Hölle, um sie zu braten und zu verspeisen. (B. Krüger, Spiel von den bäurischen Richtern 1884 v. 2254. 2400. 2412. Haslinghuis, De duivel in het drama der middeleeuwen, Leiden 1912 S. 99).
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 410. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_410.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)