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Freibergs Tristan v. 5190 zieht der als Narr verkleidete Held einen Käse hervor:

Do greif er in die gugelen san
und nam den kæse in sîne hant,
der willetôre Tristrant
greif sô grimmerlich dar în,
daz im durch die vinger sîn
ran daz kæsewazzer.

Wie das Schneiderlein zum Schein, so wirft Tugarin im russischen Lied von Wladimir (Busse 1819 S. 12) im Ernst einen Stein, daß er gar nicht wiederkehrt (B²). – Wenn der Riese nachts auf die Lagerstätte des Schneiderleins losschlägt und dieser nachher wohlgemut auf ihn zukommt (B⁵), so erinnert daran die Gylfaginning cap. 45, wo Skrymir nach Thors Hammerschlag erwacht und fragt, ob ihm ein Blatt aufs Haupt gefallen sei.

Der Kunstgriff, das Einhorn zu fangen, indem man es gegen einen Baum rennen läßt, entspricht mittelalterlichem Glauben; s. Grässe, Beiträge zur Lit. des Mittelalters 1850 S. 68; L. Catelanus, Vom Einhorn 1625 S. 28; Shakespeare, Julius Cäsar II, 1; unten zu nr. 62. Bei Bebel Facetiae 3, nr. 114 nietet der Schmied von Cannstatt sogar den Hauer, mit dem das Wildschwein den Baum durchbohrt hat, um; vgl. H. Sachs, Fabeln 1, 302 und 4, 381; Oesterley zu Kirchhofs Wendunmut 1, nr. 256; Abraham a S. Clara, Werke 2, 125. – Zu der Einsperrung des Wildschweins[1] in die Kapelle (C³) ist das französische Sprichwort ‘La chèvre a pris le loup’ (Leroux de Lincy, Proverbes 1, 184) zu vergleichen, zu dem man ein ähnliches Märchen erzählt (Sébillot, Contes 2, 336 ‘La chèvre de Trigavou’ und Folklore de France 3, 68).

Vgl. im allgemeinen R. Köhler 1, 69. 86. 262. 290. 328. 477. 510. 564; Clouston, Popular tales and fictions 1, 133–154; Cosquin zu nr. 8 und 25. Nach Polívka (Märchenwissenschaftliche Studien 1904 S. 3. Národopisný Sborník českoslovanský 10) entstand das


  1. Im Roman von den sieben weisen Meistern erringt ein Schäfer durch Tötung eines Ebers eine Königstochter; er wirft ihm vom Baume Früchte hinunter, schläfert ihn durch Krauen ein und schneidet ihm die Kehle durch (Chauvin 8, 184 nr. 223. Historia septem sapientum ed. Buchner 1889 S. 19. Goedeke, Orient u. Occ. 3, 422 ‘aper’. Hans von Bühel, Dyocletianus 1841 v. 1480 und S. 55); vgl. dazu das oben S. 155 angeführte dänische Volksbuch.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_164.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)