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Glaubens.[1] In der weißrussischen bei Seržputovskij S. 138 nr. 68 nimmt der Herr Petrowski die 299 Rubel, die ihm der Küster vom Kirchenchor aus zuwirft, an, schilt aber Jesus als den Sohn einer Jüdin, wie ihm der Küster ein Schimpfwort zuruft. In einer polnischen Erzählung aus Galizien (Lud 6, 340) hat der arme Bauer, den der hl. Georg vom Selbstmorde zurückhielt und vertröstete, er wolle Gott seinetwegen befragen, dessen goldenen Steigbügel als Unterpfand erhalten. Auf diesen hin bekommt er vom Juden Brot und Branntwein, auch einen Anzug, leugnet aber, als es zum Zahlen kommt, alles ab. Schließlich gibt ihm der hl. Georg einen Wunschbeutel für den Steigbügel. In der ganz ähnlichen großrussischen Fassung bei Afanasjev, Legendy nr. 12 erscheint ein Zigeuner und ein Herr statt des Bauern und des Juden; in der kleinrussischen Version bei Rudčenko 2, 190 nr. 7 und der weißrussischen bei Federowski 2, 306 nr. 339 erhält der Zigeuner vom hl. Georg geradezu die Erlaubnis zu Lüge und Dieberei. Ebenso in Mater. i prace kom. język. 2, 12 nr. 5. Auch der russische Bauer Nesterko genießt ein solches Vorrecht: als ihm der hl. Georg Gottes Bescheid verkündet, gibt er dem Heiligen den goldenen Steigbügel nicht zurück, sondern läßt sich den aus Reisig geflochtenen Bügel von ihm bezahlen und prellt einen Herrn, der bei ihm einen Sattel für hundert Rubel bestellt, um Geld, Rock, Stiefel und Pferd (weißrussisch bei Romanow 3, 400 nr. 15, Var. a; großrussisch bei Kolosov, Zamêtki o jazykê i narodnoj poezii v oblasti sêverno-velikorusskago narêčija S. 203 und Ivanickij S. 205). In einem polnischen Schwank aus Alt-Sandec (Wisła 8, 229) gibt St. Peter dem armen Bauern seinen goldenen Sattel samt den Bügeln und bringt ihm Gottes Bescheid, seine Armut rühre daher, daß er niemand betrüge und bestehle. Der Bauer erhält vom Juden auf den Sattel vorläufig hundert Gulden und, als er den Sattel nicht hergeben will und zum Richter mitgehen soll, auch Pelz, Stiefel und Mütze.


  1. In einem slovakischen Schwanke aus dem Kom. Trentschin (Slov. Pohl. 15, 387) verkauft der Zigeuner dem Juden sein Steckenpferd für einen Gulden.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_067.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)