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Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Karl Krumbacher, Jacob Wackernagel, Friedrich Leo, Eduard Norden, Franz Skutsch: Die Griechische und Lateinische Literatur und Sprache

zu prüfen; er braucht nur bei beliebiger deutscher Lektüre einmal seine Aufmerksamkeit für kurze Zeit nach dieser Seite zu kehren. Das meiste betrifft natürlich die gelehrte Schule und den wissenschaftlichen Betrieb. Mit der Organisation unserer höheren und hohen Schulen sind Ausdrücke wie Rektor, Professor, Privatdozent, Doktor, Student, Kolleg, Kollege, Auditorium, Honorar, Direktor, Ordinarius, Klasse, Sexta bis Prima, Primus und viele andere so eng verknüpft, daß es scheint, man könne nicht an den Worten ändern, ohne die Sache umzugestalten. Von den Wissenschaften zeigt die, die das Altertum zum ersten Gegenstand hatte und durchaus auf antiken Grundlagen fußt, besonders viel antike Fachausdrücke, die Philologie mit der Grammatik. Der Ruhm der Erfindung kommt dabei fast durchweg den Griechen zu, aber nicht die griechischen Ausdrücke leben fort und sind heute jedem Schulknaben und jedem Gebildeten geläufig, sondern ihre (bisweilen recht ungeschickten) Übertragungen durch die lateinischen Grammatiker. Das gilt von all jenen Bezeichnungen wie Verbum und Substantiv, Kasus und Person, Imperativ und Konjunktiv usw. (vgl. Wackernagel oben S. 394 f.), und auch wiederholte Bemühungen, diese lateinischen Ausdrücke zu verdeutschen, haben mehr die Schwierigkeiten als den Nutzen solchen Unternehmens klargestellt. Die Rechtswissenschaft hat hier größere Erfolge zu verzeichnen. Selbst im Namen hat sich die Jurisprudenz verdeutscht, und doch zeugen Prozeß und Testament, Assessor und Referendar (um nur weniges aus vielem herauszugreifen) davon, wie mit den römischen Rechtsformen auch die römische Rechtssprache unzerstörbar bei uns weiterlebt. In anderen Wissenschaften, wie in der Medizin und Mathematik, ist dem Latein vor allem wieder eine vermittelnde Rolle zugefallen; die griechischen Fachausdrücke gebrauchen wir im ganzen in der Lautgestalt und mit dem Akzent, die ihnen die Römer gegeben haben (vgl. Wackernagel S. 392). Aber längst nicht immer borgt das Latein hier nur Erborgtes weiter; man erinnere sich an Radius, Grad, Minute, Sekunde usw.

Es hieße sich zu sehr ins Weite verlieren, wollte man die Menge lateinischen Lehnguts auch noch in den Künsten und auf anderen Gebieten menschlicher Tätigkeit selbst bloß andeutend aufweisen; bleibt doch zudem eine andere tiefgehende Beeinflussung der modernen Sprachen durch das Latein noch zu erwähnen.Syntaktisch-stilistischer Einfluss des Lateins auf die neueren Sprachen. Wo immer es zur Herübernahme aus einer Sprache in die andere kommt, pflegt sich der Vorgang nicht aufs Lexikon ein zuschränken. Das Latein hat wohl bei allen neueren Kulturnationen auch auf Syntax und Stil zeitweilig sehr starke Einwirkungen geübt. Das begreift sich ja ohne weiteres. Die modernen Sprachen, die romanischen wie die germanischen, haben sich ihr Recht zu literarischer Verwendung wenigstens neben der lateinischen erst mühselig erstreiten müssen, und bis ins 19. Jahrhundert hinein hat die Fähigkeit, Lateinisch zu reden und zu schreiben, als ein wichtiges Erfordernis allgemeiner Bildung namentlich in Deutschland gegolten; bei wie vielen aber war diese Fähigkeit

Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Karl Krumbacher, Jacob Wackernagel, Friedrich Leo, Eduard Norden, Franz Skutsch: Die Griechische und Lateinische Literatur und Sprache. B. G. Teubner, Leipzig 1913, Seite 556. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Griechische_und_Lateinische_Literatur_und_Sprache.djvu/568&oldid=- (Version vom 1.8.2018)