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Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Karl Krumbacher, Jacob Wackernagel, Friedrich Leo, Eduard Norden, Franz Skutsch: Die Griechische und Lateinische Literatur und Sprache

fremder Zusammensetzungen mit einheimischem Material nachweisen. Unsere Namen der Wochentage Sonntag Montag Dienstag Donnerstag Freitag sind den lateinischen Solis dies, Lunae dies, Martis dies, Iovis dies, Veneris dies nachgebildet, indem bei den letzten drei die römische Gottheit (Mars Juppiter Venus) durch die entsprechende germanische (Thingsus Donner Freia) ersetzt ist.

Entlehnungen aus dem toten Latein.Die Entlehnungen aus dem Lateinischen, die bisher aufgezählt sind, fallen in die Zeit, da es noch selbst eine lebende Sprache war, da es noch gewissermaßen durch eine Lateinisch redende Volksmasse verkörpert wurde. Aber während andere Sprachen mit ihren Trägern dahinsterben, ist dem Latein das wenigstens in dieser Ausdehnung ganz einzige Los gefallen, solchen Tod zu überleben. Es behielt seine Wichtigkeit als Ausdrucksmittel einer großen Kultur, von der man sich noch immer abhängig, die man der eigenen mannigfach überlegen fühlte; es war die Sprache einer vielbewunderten Literatur, die ihr Bestes gerade in der Kunst des Stiles geleistet hatte. So gehen denn sprachliche Beeinflussungen in Fülle von ihm aus, auch viele Jahrhunderte noch, nachdem die letzten den Mund geschlossen haben, die Latein als Muttersprache redeten.

Dem einzelnen gerecht zu werden, brauchte es einen Kenner des ganzen Kreises der modernen zivilisierten Sprachen und ihrer Geschichte; ich kann nur auf ganz weniges hinweisen. Die romanischen Sprachen, nicht zufrieden mit dem reichen Erbteil, das sie von der lateinischen Mutter überkommen hatten, haben oftmals späterhin noch bei ihr Anleihen gemacht. Im Französischen kann man vielfach sog. Doublets oder Doppelwörter, verschieden geformte Abkömmlinge desselben lateinischen Wortes beobachten, wie raide (roide) und rigide, die beide ’steif‘ ’starr‘ bedeuten und auf lateinisch rigidus zurückgehen. Erstere Form weist die Spuren des Lautwandels auf, den rigidus im Alltagslatein und in dessen Entwicklung zum Romanischen durchmachen mußte (vgl. froid ’kalt‘ aus frigidus); es ist das lateinische Wort, wie es direkt von Mund zu Mund und von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Rigide dagegen entspricht dem lateinischen rigidus anscheinend viel genauer in den Lauten; aber das ist nur darum möglich, weil es nicht historisch daraus entwickelt, sondern erst in neuerer Zeit aus dem lateinischen Schrifttum entlehnt ist: auch hier hat die Tinte konservierend gewirkt.

In diesem Falle hat der Habitus von Schuldner und Gläubiger so viel Ähnlichkeit, daß für das nicht wissenschaftlich geschärfte Auge sich solche lateinische Eindringlinge von der romanischen Masse kaum kenntlich abheben. Anders liegt die Sache bei den lateinischen Lehnworten, Latinische Lehnworte im neueren Deutschen.die das Deutsche seit dem Mittelalter in sich aufgenommen hat. Da sie fast sämtlich sich für den Blick jedes Gebildeten von dem deutschen Sprachstoffe ohne weiteres unterscheiden, hat jeder auch die Möglichkeit in der Hand, die Menge unserer jüngeren Entlehnungen aus dem Lateinischen

Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Karl Krumbacher, Jacob Wackernagel, Friedrich Leo, Eduard Norden, Franz Skutsch: Die Griechische und Lateinische Literatur und Sprache. B. G. Teubner, Leipzig 1913, Seite 555. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Griechische_und_Lateinische_Literatur_und_Sprache.djvu/567&oldid=- (Version vom 1.8.2018)