Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Karl Krumbacher, Jacob Wackernagel, Friedrich Leo, Eduard Norden, Franz Skutsch: Die Griechische und Lateinische Literatur und Sprache | |
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sind wie „ihre Zahl ist Legion“, so übernehmen wir das lateinische Wort aus dem griechischen Texte. Das oströmische Reich behielt nach der Trennung vom Westen die lateinische Nomenklatur seines Beamtenheeres; das Recht wurde in Byzanz aus lateinischen Quellen zusammengestellt. Kein Wunder, daß auch römische Wortbildungsmittel (z. B. -arius und -atus) und Konstruktionen noch heute im Griechischen dauern.
Lateinische Lehnwörter im Deutschen.Am interessantesten aber sind für uns zweifellos die lateinischen Wörter, die in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung ins Deutsche aufgenommen worden sind. Wir dürfen uns rühmen, daß es nicht ein einseitiges Nehmen gewesen ist; das Lateinische hat sich seinerseits damals auch an deutschem Gute bereichert. Um ganz von Namen speziell germanischer Tiere abzusehen: wir können seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. in Rom melca, unser ’Milch‘, als Namen einer mit Milch bereiteten Speise nachweisen. Aber vorzugsweise fiel die Rolle der Gebenden doch naturgemäß den Römern mit ihrer überlegenen, späterhin noch durch das Christentum verstärkten Kultur zu. Haus und Garten, Küche und Keller, deren römische Einrichtung die Germanen an Rhein und Mosel ausgiebig bewundern konnten, zeigen in ihren einzelnen Erfordernissen noch heute deutlich die altübemommene lateinische Terminologie: Mauer Pfeiler Pfosten Ziegel, Birne Kirsche Pflaume Pfirsich Kohl Rettich Kümmel Senf Pfeffer, Tisch Schüssel Kessel Becher Kelch und wieviel andere unserer geläufigsten Worte aus den gleichen Sphären danken wir den Römern. Aber der berühmte Handelsmann aus dem Süden brachte auch Münze Pfund und das Wort kaufen selbst neben vielen ähnlichen, gerade wie sein Nachkomme unsere Kaufmannssprache mit Conto Brutto Netto Bankrott Giro (s. o. S. 532) u. dgl. verwelschte. Nicht alle Entlehnungen sind so friedlicher Art gewesen. Kriegerische Zusammenstöße, nicht minder wohl der Dienst der Germanen im römischen Heere haben ihnen z. B. auch ein Wort wie Pfeil zugeführt. Dafür kann man ein andermal wieder den eigenartigen Prozeß beobachten, daß der Name der Kriegsmaschine manganum, den die Römer von den Griechen entlehnt hatten, in unserem ’Mange‘ oder ’Mangel‘ zur Bezeichnung eines häuslichen Instruments wird, das mit jener nur die Walzen gemeinsam hat. Eine neue Schicht Lehnwörter drang dann, zum Teil nachweislich später als die genannten, jedenfalls aber noch im frühen Mittelalter, mit dem römischen Christentum in Deutschland ein, so Propst Messe Kreuz predigen u. a., darunter wieder nicht wenige, die die Römer selbst erst von den Griechen überkommen hatten, wie Priester Mönch Orgel.
Wie wir übrigens im Lateinischen den Einfluß des griechischen Lexikons nicht bloß an den in ihrer ursprünglichen Form entlehnten Worten aufzeigen konnten, sondern auch an solchen, die genaue Übersetzungen griechischer sind, so beschränkt sich der lateinische Einschlag im Germanischen nicht auf unmittelbar herübergenommene Worte: wir können auch hier an einem interessanten und wichtigen Falle die gliedweise Nachbildung
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Karl Krumbacher, Jacob Wackernagel, Friedrich Leo, Eduard Norden, Franz Skutsch: Die Griechische und Lateinische Literatur und Sprache. B. G. Teubner, Leipzig 1913, Seite 554. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Griechische_und_Lateinische_Literatur_und_Sprache.djvu/566&oldid=- (Version vom 1.8.2018)