Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Karl Krumbacher, Jacob Wackernagel, Friedrich Leo, Eduard Norden, Franz Skutsch: Die Griechische und Lateinische Literatur und Sprache | |
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schreiben wollen und das verhältnismäßig nicht übel fertig bringen, wie gegen 300 der christliche Apologet Lactanz; es gibt andere, wie den Bischof Zeno von Verona († 380), deren höchstes stilistisches Ideal die buntscheckige Art des Apuleius ist; andere wieder halten sich vorzugsweise an Sallust und so fort. Daß dabei eine reine Imitation so gut wie unmöglich ist, daß gewollt oder ungewollt sich immer noch Reminiszenzen an den Stil anderer mehr oder weniger klassischer Autoren eindrängen, ist selbstverständlich; je nach dem Grade seiner Kenntnisse lastet auf jedem dieser Epigonen der Einfluß des älteren Schrifttums in verschiedenem Grade, aber er lastet auf jedem. Zunehmende Verschiedenheit von Stil und Umgangssprache.Danach kann man den Unterschied abnehmen, der damals zwischen dem „Stil“ der Literatur und der natürlichen Redeweise derer bestand, die sich nicht in die modische Altertümelei mühselig hineingezwängt hatten. Da die Alltagssprache natürlich seit den Zeiten des Plautus auch ihre Veränderungen und zwar vollkommen unabhängig von der Schriftsprache durchgemacht hatte, so läßt sich denken, daß die Divergenz der beiden, die wir zuerst um 200 v. Chr. hervortreten sahen, jetzt ein Maximum erreicht haben muß. Am einfachsten läßt sich das an den Flexionsformen greifen. Wer auf seinen Stil hielt, schrieb natürlich im 4. Jahrhundert den Akkusativ von amor noch amorem wie Cicero und wird sich wohl auch noch so zu sprechen gemüht haben. Die einfach-natürliche Sprache aber war damals schon längst zu jener Form übergegangen, die dem italienischen Wort für „Liebe“ zugrunde liegt: amore.
Einfluß des Christentums.Eins muß damals noch besonders dazu beigetragen haben, den Stil von der Sprache zu entfernen: der Einfluß, den bei der allmählichen Christianisierung der Literatur die lateinischen Bibelübersetzungen gewannen. Man bemühte sich natürlich, das heilige Wort des griechischen Originals möglichst genau wiederzugeben, und so sehen wir hier Erscheinungen sich in verstärktem Maße wiederholen, wie sie uns vorhin bei Apuleius und Tertullian begegnet sind: teils werden griechische Worte einfach herübergenommen, teils in engem Anschluß an die griechischen Formen lateinische Ausdrücke geneuert. Dem letzteren Verfahren verdanken Worte wie salvator ’Heiland‘ = griechisch σωτήρ ihre Entstehung.
Dabei soll nicht geleugnet werden, daß anderseits gerade das Christentum seinen Tendenzen gemäß manches zur Popularisierung der Schriftsprache beigetragen hat. Um ganz davon abzusehen, daß es auf dem eben geschilderten Wege manchen griechichen Ausdruck auch dem Volke geläufig machen mußte (z. B. baptizare ’taufen‘, ecclesia ’Kirche‘, was in ital. chiesa, französ. église weiterlebt), – das Christentum hatte weit mehr Veranlassung, die Sprache jedermanns zu reden, als die heidnische Literatur, die sich auch inhaltlich mehr und mehr vom Volke abgekehrt hatte. Dann aber griffen in christlichen Dingen auch solche zur Feder, denen es an literarischen Prätensionen jedenfalls sehr viel mehr gebrach als ihren heidnischen Kollegen. Ein rührendes Beispiel hierfür ist aus der ersten
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Karl Krumbacher, Jacob Wackernagel, Friedrich Leo, Eduard Norden, Franz Skutsch: Die Griechische und Lateinische Literatur und Sprache. B. G. Teubner, Leipzig 1913, Seite 548. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Griechische_und_Lateinische_Literatur_und_Sprache.djvu/560&oldid=- (Version vom 1.8.2018)