Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Karl Krumbacher, Jacob Wackernagel, Friedrich Leo, Eduard Norden, Franz Skutsch: Die Griechische und Lateinische Literatur und Sprache | |
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Vokabeln auf, daß lange Zeit den Philologen für dies besondere Latein auch eine besondere Erklärung am Platze zu sein schien. Drei von jenen vier Männern stammen aus Afrika; den vierten ebenfalls nach Afrika zu versetzen, konnte man sich ohne Schwierigkeiten erlauben, da das Altertum so freundlich gewesen ist, uns über seine Herkunft im unklaren zu lassen. Das sog. afrikanische Latein.So glaubte man die Eigentümlichkeit ihrer Sprache als eine Frucht afrikanischen Bodens ansehen zu dürfen; die Hitze der afrikanischen Sonne, die Nachbarschaft der Semiten sollte das gezeitigt haben, was man als „afrikanischen Schwulst“ bezeichnete. Und wenn in diesem Wortgemenge so viel Revenants aus Plautus und Terenz, aus Ennius und Cato erscheinen, so glaubte man auch das aus der Eigenart der Römer in Afrika erklären zu können: Afrika ist bereits durch den dritten Punischen Krieg, um die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr., römische Provinz geworden; die Nachkommen der damals in Afrika festgesetzten Soldaten, Beamten, Kolonisten hätten – so meinte man – die Sprache ihrer Väter getreuer bewahrt als die lateinische Bevölkerung Italiens, deren energischere Fortschritte in Kultur und Literatur auch die Sprache rascher veränderten.
Aber dieser Erklärungsversuch übersieht sehr einfache Tatsachen. Wäre die altertümliche Färbung der Sprache bei Fronto und den anderen eine Folge der frühen Kolonisierung Afrikas durch die Römer, so müßte die Sprache von römischen Schriftstellern, die aus Spanien stammen, ein mindestens ebenso altertümliches Kolorit zeigen, da Spanien schon durch den zweiten Punischen Krieg (206) römische Provinz wurde. Aber so viel auch die Pyrenäenhalbinsel zum Schatz der römischen Literatur beigesteuert hat – Seneca, Lucan, Martial stammen von dort –, keiner ihrer Söhne verdient den Vorwurf, sprachlich zurückgeblieben zu sein. Indes, auch wenn man nur die Verhältnisse Afrikas erwägt, kann man denn glauben, daß dort die lateinische Sprache sich durch drei Jahrhunderte und mehr unverändert gehalten habe? Afrika kann nicht so im ersten Anlauf latinisiert worden sein: dazu hat es der Arbeit von Jahrhunderten bedurft. Und diese Arbeit ist selbstverständlich nicht allein von den Nachkommen der ersten Ansiedler geleistet worden, sondern es mußte ein beständiges Nachströmen aus dem Mutterlande und infolgedessen auch ähnliche Sprachveränderungen wie dort stattfinden.
Eins aber ist es vor allem, was der Annahme widerspricht, die altertümlichen Elemente in der Sprache jener Archaisierer seien ein altes vom Vater auf Sohn und Enkel gegangenes Erbstück: wer dieser Behauptung das Wort redet, verwechselt Rede und Schreibe. In der Sprache des Fronto, des Apuleius und der anderen ist alles andere so außerordentlich bewußt, ist alles so künstlich und künstelnd geformt, daß man unmöglich glauben kann, sie hätten in diesem einen Punkte das Prinzip der Stilisierung so weit vergessen, daß sie der Sprache des Volkes und der Landschaft Einfluß gestatteten. Auch diese Archaismen vielmehr und der arge
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Karl Krumbacher, Jacob Wackernagel, Friedrich Leo, Eduard Norden, Franz Skutsch: Die Griechische und Lateinische Literatur und Sprache. B. G. Teubner, Leipzig 1913, Seite 546. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Griechische_und_Lateinische_Literatur_und_Sprache.djvu/558&oldid=- (Version vom 1.8.2018)