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Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Karl Krumbacher, Jacob Wackernagel, Friedrich Leo, Eduard Norden, Franz Skutsch: Die Griechische und Lateinische Literatur und Sprache

eines solchen einfachen „Attizismus“ nennen darf, ist Cäsar gewesen. Er ist noch peinlicher als Cicero in der Wortwahl; hatte er doch gesagt, ein neues und unerhörtes Wort müsse man wie eine Klippe meiden. Und wenn bei Cicero die Worte den Gedanken mit üppigem Faltenwurf umkleiden, sitzen sie ihm bei Cäsar knapp und einfach an; von Rhythmus ist höchstens hier und da etwas zu spüren.

Ausgleich des poetischen und prosaischen Stils.3. Silberne Latinität. Sind bis hierher Poesie und Prosa getrennte Wege gewandelt, so kennzeichnet sich die folgende Periode wie alle weitere Entwicklung dadurch, daß beide nunmehr Hand in Hand gehen. Es hat das seinen Hauptgrund in einem Umstand, der auch sonst sich für den lateinischen Stil bedeutungsvoll erwiesen hat: in der eigenartigen Gestaltung des Jugendunterrichts in der Kaiserzeit. Zuerst vom grammaticus im Verständnis und in der Nachahmung der klassischen Dichter geschult, wird der junge Mann sodann vom Rhetor in den Künsten der Rhetorik unterwiesen; diese aber steigern sich nun um so mehr, als sie zum Selbstzweck werden, da die politischen Verhältnisse eine praktische Verwendung der Beredsamkeit kaum noch gestatten. Jetzt wird die Poesie ebenso völlig von Rhetorik durchsetzt wie die Prosa (unter den Dichtem ist Ovid das erste Beispiel in großem Stile); wir kennen Fälle genug, wo gleiche Themata in rhetorischer Prosa und in Versen behandelt worden sind.

Die erste Folge davon ist eben die Ausgleichung des poetischen und prosaischen Stiles. Noch bei Cicero sind beide grundverschieden. Wir haben genug von seinen wenig glücklichen poetischen Versuchen, um erkennen zu können, wie sehr sie sich an Ennius anlehnen. Nicht nur lexikalisch ist hier nicht wenig zugelassen, was Ciceros Prosa durchaus meidet, sondern selbst die Aussprache in den Versen zeigt Abweichung von der in den Reden. Schon Livius aber hat nicht bloß Ennianische Floskeln unbedenklich in sein Geschichtswerk übernommen, sondern in die späteren Teile vielleicht auch Vergilische. Noch stärker gleicht seit der Zeit des Tiberius etwa Prosa und Poesie sich im Wortschatz aus; der ältere Plinius sucht z. B. in seiner Naturgeschichte der Trockenheit seines Stoffes ganz ungeniert mit zusammengesetzten Beiworten aufzuhelfen, wie sie früher nur die Dichter in gleicher Absicht künstlich geschaffen hatten.

Pointenstil.Die Zweite Folge der rhetorischen Ausbildung ist, daß der Stil in Poesie und Prosa jetzt durchaus auf rhetorische Wirkung berechnet wird. Die Schriftsteller sind beständig auf der Suche nach blendenden Sentenzen. Das ist ein Kraut, das für den einzelnen nicht so gar reichlich wächst. Darum übernimmt es die Rhetorenschule, dergleichen zu züchten, und dem einzelnen Schriftsteller fällt es meist nur noch zu, diesem Gemeingut eine überraschende und durch ihre Neuheit schlagkräftige Form zu geben. So wird neben Alliterationen, Reimen, gleicher Silbenzahl korrespondierender Satzglieder und anderen Klangeffekten, worunter auch der Rhythmus natürlich seine Rolle weiterspielt, ein möglichst pointierter Ausdruck als wesentlich angesehen. Wie das alles bei Griechen und

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Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Karl Krumbacher, Jacob Wackernagel, Friedrich Leo, Eduard Norden, Franz Skutsch: Die Griechische und Lateinische Literatur und Sprache. B. G. Teubner, Leipzig 1913, Seite 544. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Griechische_und_Lateinische_Literatur_und_Sprache.djvu/556&oldid=- (Version vom 1.8.2018)