Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Karl Krumbacher, Jacob Wackernagel, Friedrich Leo, Eduard Norden, Franz Skutsch: Die Griechische und Lateinische Literatur und Sprache | |
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dann von Vergil durch Übernahme in seinen Stil sanktioniert und so, da Vergil allezeit bewundertes Vorbild der poetischen Sprache bleibt, auf immer für die römische Dichtung gewonnen worden. Dahin gehört z. B. der eigentümliche Gebrauch des Plurals statt des Singulars wie corpora, auch wo nur von einem Körper die Rede ist, weil diese Form mit ihrem Lang-kurz-kurz so schön in den Hexameter paßt. Ennius glaubte sich zu diesem Wagnis wohl durch eine ähnliche Erscheinung der Umgangssprache berechtigt (s. S. 551), hat aber deren Grenzen weit überschritten.
Am meisten zu tun blieb zweifellos für den Satzbau. Hier ist Ennius, da der Vers auf die Periodisierung keinen Zwang ausübte, bei der alten Simplizität stehengeblieben; er erzählt in ähnlich einfach schlichten Sätzen, meist in bloßer Aneinanderreihung ohne Unterordnung, wie es die alte Prosa tut, und meidet auch deren Breite nicht. Im übrigen ist auch sein Stil schon von der Macht aufs stärkste beeinflußt, die die lateinische Poesie je weiter hin je schwerer für uns genießbar macht: den Lehren griechischer Rhetoren. Nicht nur daß er ihnen zuliebe Klangspiele, wie sie die lateinische Sprache selbst an die Hand gab, weit über das Naturwüchsige hinaus gesteigert hat, insbesondere die Alliteration, mit deren Hilfe er z. B. den Trompetenton in dem berüchtigten Hexameter malen zu dürfen glaubte at tuba terribili sonitu taratantara dixit. Er hat vielmehr auch von den sonstigen berückenden und verwirrenden Künsten jener griechischen Klügler Gebrauch gemacht: von den auch in der sprachlichen Form, in Silbenzahl und Gleichklang, ausgeprägten Antithesen u. ä.
Satzbau der Prosa.Was über Ennius’ Syntax und Stilistik gesagt ist, läßt sich im wesentlichen auch auf die der Prosa anwenden. Im Satzbau noch vielfach eine gelegentlich bis zum Ungeschick gehende Simplizität und daneben doch schon das Raffinement griechischer Künstelei. Das hat in seinem Geschichtswerk und seinen Reden, die eine höhere gepflegtere Stilart zeigen als das vorhin erwähnte Werkchen über den Landbau, sogar der alte Cato bewußt mitzumachen keineswegs immer verschmäht. Dann können wir bei den späteren Vertretern der Geschichtschreibung und insbesondere bei den näheren Vorläufern Ciceros in der Redekunst, z. B. bei C. Gracchus, verfolgen, wie die syntaktische Einfachheit allmählich kunstvollerem Baue Platz macht und so das Mißverhältnis zwischen ihr und dem rhetorisierenden Aufputz sich verringert. Schon jetzt beginnt die eigentümliche Rhythmisierung der Satzglieder, die wir vorhin berührten und als eine Nachbildung griechischer, speziell aus Kleinasien stammender Muster bezeichneten; gewiß werden gerade diese zugleich auch im übrigen auf kunstvollere Periodisierung hingewirkt haben, denn auch der voll dahinrollende, ja bis zum Schwulst ausartende Periodenbau war ein Charakteristikum dieses „Asianismus“.
Poesie der klassischen Zeit.2. Goldene Latinität. Wenn man diese Periode mit Ciceros Aufsteigen zur Höhe seines Rednerruhms, also etwa den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts v. Ch. beginnen läßt, so fällt die Grenze für die
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Karl Krumbacher, Jacob Wackernagel, Friedrich Leo, Eduard Norden, Franz Skutsch: Die Griechische und Lateinische Literatur und Sprache. B. G. Teubner, Leipzig 1913, Seite 541. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Griechische_und_Lateinische_Literatur_und_Sprache.djvu/553&oldid=- (Version vom 1.8.2018)