Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Karl Krumbacher, Jacob Wackernagel, Friedrich Leo, Eduard Norden, Franz Skutsch: Die Griechische und Lateinische Literatur und Sprache | |
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Wendung und nicht wenig absichtliche Wortkunst, im ganzen aber spiegeln sie das lebendige Latein in seiner Betonung, im Klang einzelner Worte und ganzer Sätze, im Wortlaut der üblichen Formeln für „Guten Tag“, „Wie geht’s?“ usw. und, was mehr ist, in seiner gesamten Ausdrucksfähigkeit aufs treuste wider. Und danach kann man nur sagen,Charakteristik der Alltagssprache. es gab nichts, was in diesem Latein seinen adäquaten Ausdruck nicht hätte finden können. Reife Lebensweisheit und toller Übermut, Liebesschmerz, der am Leben verzweifelt, und reizendste Schmeichelworte, aus denen es wie ein perlendes Lachen noch heute an unser Ohr klingt, Vaterfreude und Vaterschmerz, kurz, was es irgend für Töne in der Skala der Empfindungen und Gedanken des täglichen Lebens gibt, alle sind sie zu hören, und wer diesen Dichter zu lesen versteht, ist ebenso von der Meinung geheilt, daß das Latein seiner Natur nach eine nüchterne, wie von der anderen, daß es eine eminent logische Sprache war. Wir haben hier das treueste und in vielem Sinne auch vollständigste Bild des wirklichen Lateins. Selbst scheinbare Lücken erweisen sich als genaues Spiegelbild der Sprache, wie sie damals war. So fehlt in der Komödie natürlich die Ausdrucksweise des wissenschaftlichen abstrakten Denkens. Aber auch diese Zufälligkeit entspricht einem tatsächlich vorhandenen Zuge des Lateinischen: an derlei gebrach es nämlich wirklich und nicht bloß bei Plautus, und erst als das Interesse für griechische Wissenschaft in Rom den Versuch der Nachbildung hervorruft, fängt man an, diese Lücke bitter zu empfinden und nach Möglichkeit mit fremdem und heimischem Gute zu füllen.
Stilisierung der Sprache schon bei den Zeitgenossen des Plautus.Plautus ist, wie gesagt, unter den erhaltenen Dichtern der einzige, dem die Art seiner Poesie und seine Zeit vielfachen Gebrauch der Alltagssprache gestatteten. Freilich auch ihm täte man gewaltiges Unrecht, wollte man ihn als eine Art Naturdichter ansehen: er schreibt die Alltagssprache nur, wenn er es will, und mit vollstem Bewußtsein; lüstet’s ihn aber, die Künste des eleganten Stils spielen zu lassen, so gibt es auch da kaum eine, die ihm nicht zur Verfügung stünde. Dann klingen und rauschen seine Verse von den kühnsten und wohltönendsten Assonanzen und Reimen, die jemals ein Römer dem gefügigen Instrument seiner Sprache ablockte. Seine Zeitgenossen aber, die sich mit dem Epos und dem ernsten Drama beschäftigen, jagen mit weitgehender Stilisierung der Sprache allermeist diesen künstlichen Klängen nach, und bald folgt dieser Neigung auch die Prosa. Unter der Eisdecke der Literatur verschwindet jetzt der kräftige Strom lebendiger Sprache und wird uns nur von Zeit zu Zeit durch eine zufällige Lücke wieder einmal flüchtig sichtbar. So erklärt sich’s, daß wir – um das Vischersche Wort wieder aufzugreifen – eine Geschichte wohl der römischen Schreibe, nicht aber der lateinischen Sprache entwerfen können. Diesem Versuch unseres nächsten Abschnitts mag sich in Kap. VII sodann noch einiges zur Charakteristik und Wertung der Umgangssprache anschließen.
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Karl Krumbacher, Jacob Wackernagel, Friedrich Leo, Eduard Norden, Franz Skutsch: Die Griechische und Lateinische Literatur und Sprache. B. G. Teubner, Leipzig 1913, Seite 539. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Griechische_und_Lateinische_Literatur_und_Sprache.djvu/551&oldid=- (Version vom 1.8.2018)