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Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Karl Krumbacher, Jacob Wackernagel, Friedrich Leo, Eduard Norden, Franz Skutsch: Die Griechische und Lateinische Literatur und Sprache

sakralen Inhalts kennen, das andere die der Samniten, die von ihren Sitzen in den Hochtälern des Zentralapennins heruntersteigend im 5. Jahrhundert Kampanien sich und ihrer Mundart, die dort das Oskischeoskisch genannt ward, unterwarfen, aber auch in anderen Teilen Unteritaliens sowie in Sizilien Sprachdenkmäler hinterlassen haben. Das Umbrische und das Oskische stellen gewissermaßen die Extreme der italischen Sprachentwicklung dar; wenn das letztere jene Fülle der Diphthonge, von der vorhin die Rede war, so unverfälscht bewahrt hat wie unter den anderen indogermanischen Sprachen nur noch das Griechische, so ist im Umbrischen ihre Vereinfachung weiter fortgeschritten als selbst im Lateinischen; was hier aut 'oder‘ heißt, ist dort ote. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich die Menge der übrigen die anderen.auch örtlich zwischen Umbrern und Samniten mitteninne liegenden Dialekte, teils dem einen, teils dem anderen stärker zustrebend. Die ganze Masse aber schließt sich in gewissen Eigentümlichkeiten ganz entschieden zu Abweichungen vom Lateinischen.einer Einheit gegenüber dem Latein zusammen. Was in diesem qu ist, zeigt sich in jener oskisch-umbrischen Gruppe als p; quis 'wer‘ wird zu pis, que 'und‘ wird zu pe; das f aber, das wir vorhin in frater und lifra als einen spezifisch italischen Laut erkannten, wird im Lateinischen, wenn es inmitten eines Wortes steht, zu b: so heißt es zwar frater auch im Lateinischen weiter, aber italisches lifra 'Pfund‘ wird zu libra.

Das Lateinische die Mundart der Latiner.Im letzten Punkt hat nicht einmal der Dialekt dem Lateinischen Heeresfolge geleistet, der sonst getreulich mit ihm geht und das quis und que allein mit ihm teilt, das Faliskische. Die Tatsache ist darum von besonderem Interesse, weil sie zeigt, wie eng der in Rom gesprochenen Mundart der Latiner, dem Lateinischen, die Grenzen gezogen waren. Die Stadt Falerii, deren Sprache das Faliskische ist, liegt kaum sechs Meilen nordwärts von Rom, aber zwischen die beiden Städte schiebt sich noch ein Streifen etruskischen Gebiets. Nach den anderen Himmelsrichtungen stand es nicht besser. So weit wie Falerii nach Norden ist nach Süden das Gebiet der Volsker und ihrer Sprache entfernt. Noch näher liegt nach Osten hin Präneste, das heutige Palestrina, dessen von den Komikern verspottete Abweichungen vom Stadtrömischen freilich nicht allzu erheblich gewesen zu sein scheinen; aber eine scharf einschneidende Sprachscheide bildete jedenfalls das bald hinter Präneste aufsteigende Hochgebirge. Nach Westen endlich setzte das Meer die engsten Schranken. So schätzt man das ganze Gebiet der Latiner, die Keimzelle der weltbeherrschenden lateinischen Sprache, noch für die Zeit um 400 v. Chr. auf nicht mehr als etwa 50 Quadratmeilen.

Wie von hier aus das Lateinische um sich gegriffen, wie es erst das italische Festland und die Inseln, dann die anderen Länder erobert hat, in denen heute romanische Sprachen gesprochen werden, darüber hinaus aber manches Gebiet in fremdem Erdteil, das erst nachträglich der römischen Zunge wieder abgerungen worden ist (so Nordafrika) – dies auch nur in großen Zügen erzählen hieße dem Historiker ins Handwerk pfuschen. Ähnliches

Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Karl Krumbacher, Jacob Wackernagel, Friedrich Leo, Eduard Norden, Franz Skutsch: Die Griechische und Lateinische Literatur und Sprache. B. G. Teubner, Leipzig 1913, Seite 529. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Griechische_und_Lateinische_Literatur_und_Sprache.djvu/541&oldid=- (Version vom 1.8.2018)