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Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Karl Krumbacher, Jacob Wackernagel, Friedrich Leo, Eduard Norden, Franz Skutsch: Die Griechische und Lateinische Literatur und Sprache

Sprachen auszumitteln. Lange Zeit galt das Griechische als nächster Verwandter. Aber die fortschreitende Wissenschaft hat erwiesen, daß viele von den wirklich auffälligen Übereinstimmungen des Griechischen und Lateinischen nicht gemeinsames Erbteil aus dem Indogermanischen sind, sondern vielmehr auf einer Anleihe der Römer bei den Griechen beruhen. Wir werden noch davon zu reden haben, welche Spuren die dauernde Wechselwirkung zwischen beiden Völkern in historischer Zeit der Sprache der Römer aufgeprägt hat, wie diese sich mehr und mehr mit griechischen Lehnworten, Konstruktionen und selbst Wortbildungen durchsetzte. Daß das alles nichts für eine engere Gemeinschaft in Urzeiten besagen kann, ist unzweifelhaft; was aber außerdem an besonderen Ähnlichkeiten zwischen Italisch und Griechisch existiert, tritt an Belang hinter den Berührungen mit dem Keltischen zurück. Freilich sind auch diese vielfach überschätzt worden; immerhin verdient z. B. die Gemeinsamkeit der Bildung des Mediums und Passivums mit r (sequitur sequuntur) Beachtung. Daneben zeigt sich eine überraschende Übereinstimmung des italischen Wortschatzes mit dem deutschen. Lateinisch dūco, deutsch (Her)zog; lat. homo, deutsch (Bräuti)gam; lat. hostis, deutsch Gast sind ein paar Proben der unter allen indogermanischen Sprachen nur oder fast nur im Lateinischen und Deutschen sich findenden Wortgleichungen, die ebenso begrifflich wie lautlich aufs genaueste stimmen. Das sonderbarste aber ist wohl, daß unser Wort deutsch selbst sich fast Laut für Laut mit tuticus, dem Ausdruck für ‚völkisch‘ deckt, der vielleicht manchem Leser noch aus der bei Livius sich findenden samnitischen Amtsbezeichnung meddix tuticus erinnerlich ist.

Zerfall in zahlreiche Dialekte:II. Die Gliederung des Italischen in Dialekte. Die Verteilung einer Volksmasse über eine so ausgedehnte Räumlichkeit wie die Apenninhalbinsel muß – namentlich in Zeiten, wo der Verkehr über keine oder nur primitive Mittel verfügt, wo jeder höhere Gebirgsrücken, jeder breitere Flußlauf den Zusammenhang der Bevölkerung empfindlich unterbricht, und wo keinerlei Schriftsprache der Neigung zum Zerfall entgegenwirkt – zur Spaltung in Dialekte führen. Tatsächlich ist die Anzahl der (noch immer lange vor der historischen Zeit) entwickelten Varietäten der italischen Sprache sehr beträchtlich gewesen. Nicht wenig davon hat Überschwemmung mit späteren sprachfremden Einwanderern hinweggespült, von der unser dritten Abschnitt zu reden haben wird; der Rest ist uns großenteils nur durch eine dürftige inschriftliche Überlieferung bekannt – und doch können wir noch eine Fülle von Spielarten und von Spielarten der Spielarten unterscheiden. Hier muß es genügen, gerade so viel zu sagen, als nötig ist, um dem Lateinischen, der einen dieser Spielarten, den richtigen Platz unter den Geschwistern anzuweisen. Von diesen treten zwei noch für uns besonders kenntlich hervor. Das eine ist die Sprache das Umbrische der Bewohner Umbriens, die wir aus ziemlich umfangreichen Inschriften

Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Karl Krumbacher, Jacob Wackernagel, Friedrich Leo, Eduard Norden, Franz Skutsch: Die Griechische und Lateinische Literatur und Sprache. B. G. Teubner, Leipzig 1913, Seite 528. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Griechische_und_Lateinische_Literatur_und_Sprache.djvu/540&oldid=- (Version vom 1.8.2018)