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Thorbjoern Oengul ging zu seiner Amme, sich Rat in seiner Verlegenheit zu holen. Alle seine Machtmittel waren erschöpft, und all sein Witz war verbraucht. Dennoch hatte er bisher nichts, garnichts erreicht. Gretter war immer obenauf, und Herr der Insel.

Nun entschloß sich Oengul, Rat und Beistand dort zu suchen, wo er ihn bisher am wenigsten vermutet hatte.

„Gott grüß dich! Mutter Thurid[1]!“ Mit diesen Worten setzte Thorbjoern seinen Fuß über die Schwelle des kleinen Hauses, in dem seine Amme wohnte, und ließ sich nieder an der Alten Bett.

„Er grüß’ dich wieder, Oengul! Du warst lange nicht hier! – Doch dein Auge blickt heute finster!“ –

„Kein Wunder, Mutter, ich habe Verdruß!“ –

„Erzähl’, was dich bedrückt!“ –

Nun erzählte Thorbjoern umständlich von seinen vergeblichen Versuchen, den Gretter von der Drang-ey zu vertreiben, und schloß mit den Worten: „Du hast mir, Mutter Thurid, schon manch einen guten Rat in meinem Leben gegeben, weißt du hier einen, so sag’ ihn mir!“ –

Thurid griff mit ihren mageren, braunen Händen nach dem Strick, der über ihrem Bette von der Zimmerdecke herabhing, zog sich daran in die Höhe, und setzte sich aufrecht in die Kissen. Ihr Auge nahm den Ausdruck der Verachtung an.

„Hier bestätigt sich wieder das alte Wort,“ sagte sie, „daß mancher in das Ziegenhaus läuft, wenn er Wolle sucht. Du bist zu Hans und Kunz gelaufen. Jetzt kommst du zu mir. Rat, Oengul, findet man nur bei klugen Leuten! Du dünkst dich einer der vornehmsten Bauern in der Harde zu sein; und doch hier, wo es gilt, weißt du nicht aus noch ein. Das ist doch zu erbärmlich. Ich möchte mit dir nicht tauschen, Oengul, bettlägrich, wie ich bin!“ –

Thorbjoern runzelte die Stirn. Das war kein Pflaster auf sein wundes Herz. Er biß sich auf die Lippen. Allein, er schwieg.

„Blick nicht so finster drein, Oengul! Du bist hier nicht ins Geißhaus geraten. Du sollst die gesuchte Wolle haben!“ –

Sie streckte die magere Knochenhand aus, und fuhr ihm, zärtlich streichelnd, über die Wange.

„Ich habe dich groß gezogen, ich, als deine rechte Mutter früh gestorben war, und die zweite in das Haus kam, die dir nicht wohlwollte, und du nicht ihr! Du bist mir an das Herz gewachsen, Oengul!
Anmerkungen (Wikisource)

  1. isl. Þuríður


Empfohlene Zitierweise:
Emil Dagobert Schoenfeld: Gretter der Starke. Schuster & Loeffler, Berlin 1896, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gretter_der_Starke.pdf/250&oldid=- (Version vom 1.8.2018)