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Elf Uhr war’s! Immer wieder schritt Gerhard Sicharski durch die langen Säle des Städtischen Museums, blieb hier und dort vor einem Bilde stehen und tat, als ob er es eifrig betrachtete. Und doch waren seine Gedanken ganz wo anders. – Beatrix v. Sarma kam nicht. Was mochte sie heute bei dem prächtigen Frühlingswetter nur abgehalten haben, ihre Malstunde in der Galerie wahrzunehmen?

Wieder verging eine halbe Stunde. Gerhards Hoffnung war auf den Nullpunkt gesunken. Und gerade heute erschien sie nicht, gerade heute, wo sie an seiner Freude teilnehmen sollte, wo er sich fest vorgenommen hatte, zum ersten Mal seine Scheu zu überwinden und sie Trix – Fräulein Trix, zu nennen, wie sie es längst gewünscht hatte. – Mit all diesen Vornahmen war es nun nichts – leider! Schließlich gab er denn auch wirklich das längere Warten auf. Gedrückt schlich er davon. Und die Galeriediener, die ihn vom Ansehen bereits recht gut kannten, schauten ihm lächelnd nach:

„Ein verpaßtes Rendezvous,“ sagte einer der Leute zu seinem Kollegen. Und der nickte verständnisinnig. Wurde die Ausstellung doch häufig genug von Liebespaaren als Promenadenraum benutzt. –

Als Gerhard sein Stübchen betrat, sah er sofort den mattblauen Briefumschlag, der sich auf der roten Löschblattunterlage seines Schreibtisches so scharf abzeichnete.

Wie ein jäher Schreck durchzuckte es ihn da. Er wußte sofort, von wem dieses Schreiben stammte, dem dasselbe diskrete Parfüm anhaftete, das auch Beatrix’ zierliches Persönchen stets so lockend umwebte.

Und dann las er ihre Abschiedsworte, las sie immer wieder:

 „Lieber Freund!

Sie werden heute vergeblich auf mich gewartet
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Walther Kabel: Gräfin Trixchen. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1922, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gr%C3%A4fin_Trixchen.pdf/42&oldid=- (Version vom 1.8.2018)