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Sitte ist. Obschon ich den ganzen Tag nichts gegessen hab, hab ich es doch nicht können über mein Herz bringen, denn mein Herz ist mir noch gar zu voll gewesen von dem großen Weinen, als ich von meiner Tochter Esther weggegangen bin. Wir haben beide so viele Tränen vergossen, wie uns zumute gewesen ist. Mein Mann hat mich in sein Kabinett geführt und mich eine große Schachtel mit allerhand Ketten und mehreren Ringen sehen lassen. Aber er hat mir doch zur selben Zeit bis allher nicht den geringsten Ring oder eine silberne oder goldene Münze gegeben, so daß er sich an mir nicht zugrunde gerichtet hat. Nun, gegen Abend hat man eine vornehme Mahlzeit gemacht und es ist wieder alles auf das herrlichste hergegangen. Diener und Jungfern habe ich genug in meinem Haus gefunden und allerwegen, wo ich nur hingesehen und gehört habe, ist viel und Überfluß gewesen.

In seinem Kontor hat viel Gold und Silber gesteckt, so daß man nach dem Ansehen ganz anders hätte judizieren können, als es leider gekommen ist. Er ist so lange Vorsteher in der Gemeinde gewesen und nach seinem Befehl ist man wirklich ein- und ausgegangen. Ein jeder Mensch hat ihn geehrt und gefürchtet, Juden und Nichtjuden. Die andere Woche nach unserer Hochzeit sind die größten und einflußreichsten Persönlichkeiten gekommen und haben mich bewillkommt und Glück gewünscht. Ich habe mir nichts mehr gewünscht, als daß ich Französisch gekonnt hätte, damit ich jedem hätte Red und Antwort geben können. Nun, mein Mann hat für mich geredet.

Also ist es eine Zeitlang so gegangen, wirklich in großer Vergnüglichkeit, denn es hat mir nichts gefehlt. Mein Mann hat mir Geld gegeben, was in der Haushaltung auszugeben nötig gewesen ist. Ich habe gefunden, daß die Jungfer Herr und Meister im Haus gewesen ist und daß sie alles in ihren Händen gehabt hat, all das Eßwerk, ganze Hüte Zucker und andere Sachen, und daß sie mich gar nicht gefragt hat, was sie kochen oder machen soll.

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Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 281. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_281.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)