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es sagten die zwei Knaben: »Wir wollen einander was zu raten aufgeben, damit wir die Nacht verbringen.« Damit waren alle zufrieden und sie machten zwischen sich aus, daß, wenn einer auf das Rätsel des anderen den Bescheid trifft, der sollte zehn Gulden haben, und wenn kein Bescheider auf sein Rätsel wäre, dann sollte der Erzähler zehn Gulden haben. Und sie sagten: »Laßt die zwei Knaben uns zu raten geben, weil sie verständiger sind als wir.« Und die Knaben fingen an und sagten: »Wir haben eine gar köstliche schöne Jungfrau gesehen und sie sieht nicht mit ihren Augen. Sie weist einen hübschen zarten Leib, aber er ist nicht vorhanden. Die Jungfrau steht alle Morgen früh auf, aber sie zeigt sich den ganzen Tag nicht. Nachts kommt die Jungfrau wieder, geziert mit großer Zierung, welche Zierung aber gar nicht geschaffen und gar nicht auf der Welt ist. Mit zugemachten Augen sieht man sie, mit offenen Augen verschwindet sie. Nun, das ist das Rätsel, bescheidet ihr jetzunder die Bescheidung.«

Und sie verwunderten sich alle über das Rätsel und sagten, es wäre so schwer, daß es nicht möglich sei, es zu bescheiden. Unter ihnen war ein alter Kaufmann, der wollte es mit Gewalt bescheiden. Aber die Knaben wollten den Bescheid nicht annehmen, denn sie sagten, es wäre nicht die Wahrheit, und sie zankten derentwegen, bis es Tag wurde, und man wußte nicht, wem man die zehn Gulden geben sollte. Da spricht der Schiffmann: »Hört mir zu. Ihr sollt alle auf das Schloß gehen zum Fürsten, er wird zwischen euch das Recht erkennen.« Sie waren zufrieden und gingen zum Fürsten. So sprach der Fürst zu ihnen: »Was wollt ihr Gutes so frühe?« Und sie erzählten alles, was zwischen ihnen vorgegangen war, ihr künstliches Rätsel und die Bescheidung von dem alten Kaufmann.

Da nun der Fürst das Rätsel hört, da erschrak er eine große Erschrecknis. Er sieht die Knaben an und erkennt sie, denn sie waren nicht sehr groß gewachsen. Und er sagt zu ihnen: »Wieso wißt ihr, daß die Bescheidung von dem alten Kaufmann nicht wahr ist?« Sie erzählten: »Lieber

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Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_048.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)