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ist und soviel es sich tun läßt, von der Beschreibung meiner Jugend, was mir noch im Gedenken ist, was mir passiert ist.

Nicht daß ich mich sollt überheben oder mich sollte – Gott behüte – für fromm beschreiben oder halten. Nein, »unsere Sünden sind zu viel, um verziehen zu werden«. Ich bin eine Sünderin, die alle Tage, alle Stunden und alle Augenblicke viel Sünden tut, und bin leider von wenig Sünden ausgeschlossen. »Darüber weine ich und aus meinem Auge fließt Wasser.« Wer gäbe, daß ich könnte weinen und bereuen und recht Buße tun für meine Sünden, wie es sich gehört. Aber meine Beschäftigung mit mir und meinen Kindern und leider meine Sorgen für die Söhne und Töchter, die verwaist sind, und das weltliche Wesen lassen mich nicht zu meinem Stand, wie ich gerne wollte und sollte. Ich bitte Gott, meinen Erschaffer, er wolle so gnädig sein und mir aus allen meinen Nöten und Sorgen, die ich auf mir hab, helfen.

»Denn im geheimen weint meine Seele, und mein Bett überfließt von Tränen.« Denn wir haben niemanden, auf den wir uns verlassen können, als unsern Vater im Himmel. Denn wir Menschen wissen nicht einer von des andern großen Sorgen, und ein jeder Mensch meint, daß seine Sorge die größte ist.

Es ist ein Philosoph auf der Gasse gegangen. Ist ihm ein guter Freund begegnet und hat ihm sehr geklagt, wie er so große Sorge und Beschwernis hat. So sagt der Philosoph zu seinem Freunde: »Komm mit mir, laß uns auf die Höh von einem Dach steigen.« Also ist er mit seinem Freunde hinaufgestiegen, da haben sie alle Häuser in der Stadt sehen können. Also sagt der Philosoph zu seinem Freunde: »Nun, komm her mein Freund, ich will dir alle Häuser in der ganzen Stadt weisen, und sieh, in dem Hause steckt das Leid und Unglück, in jenem ist wieder die Beschwernis und Sorg«. In Summa hat der Philosoph seinem Freunde gewiesen, daß in allen Häusern der Stadt, in einem jeden Hause seine abgesonderte Sorge und Beschwernis steckt. »Nun, mein Freund, nimm nun deine Beschwerlichkeit und Sorg und wirf sie

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Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_019.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)